"Iiiiiih, behaarte Achselhöhlen! Ist das nicht furchtbar unhygienisch?" - "Die Beine sehen aus wie die von einem Kerl!" - "Der Typ da ist ja behaart wie ein Tier!"... Die Diskriminierung von Menschen aufgrund körperlicher Merkmale ist manchmal im wahrsten Sinn des Wortes haarsträubend. Während Tiere einfach so und instinktiv ihr Fell an sich tragen, pflegen und an Jahreszeiten anpassen, beschäftigt sich die menschliche Spezies überproportional viel mit vergleichsweise wenig „Wärmefell“.
Ich selbst nehme mich da übrigens nicht aus. wenn möglich, gehe ich einmal im Monat zum Gesichtswaxing (unerwünschte Haare entfernen und krumme Augenbrauen geraderücken lassen). Außerdem liebe ich dunkelrotbraune Henna-Nuancen so sehr, dass ich spätestens alle sechs Wochen meine Pflanzenhaarfärbung erneuere. Alle drei Monate geht es zum Friseur, Bob nachschneiden lassen, und mindestens zweimal in der Woche steht eine Ganzkörperrasur an. So viel zu meiner eigenen, noch relativ kompakten, „haarigen Routine“. Seitdem ich auf Social Media in letzter Zeit wieder hitzige Debatten über (un)rasierte Frauenkörper mitbekomme, habe ich einen kleinen Rückblick gewagt. Wann habe ich eigentlich mit der ständigen Haarentfernung angefangen und vor allem: Wieso? Und wann mit dem Haarefärben und damit, meine ursprüngliche Haarfarbe, ein dunkles Blond beziehungsweise sehr helles Braun, nicht mehr zu mögen?
„Jungs finden glatte Beine schöner!“
Ich war 13 Jahre alt, als ich mir zum ersten Mal die Haare goldblond bleichte. Und anschließend meine Beine und Achselhöhlen rasierte. Damals war ich bei einer Freundin zu Besuch, mit der ich gemeinsam auf Ferienfreizeit fahren wollte. Ich wollte einfach eine neue Haarfarbe ausprobieren und verließ mich auf ihren Rat. „Goldblond steht dir bestimmt total gut, das ist mit braunen Augen ein echter Hingucker“, befand sie und ich erlaubte ihr, michblondieren. Tatsächlich fand ich den neuen Look vorerst auch richtig cool – ein Gefühl, das verging, als mir diese leidige Geschichte mit nachwachsenden dunklen Ansätzen wirklich klar wurde. Ich übernachtete bei meiner Freundin und ging dort duschen. Sie betrachtete erst mich, dann ihre eigenen rasierten Beine und sagte dann: „Ich rasiere mich immer, Jungs finden glatte Beine schöner. Und im Urlaub will ich nicht in langen Jeans herumlaufen! Man sieht sonst aus wie ein Typ.“
Ach… war das so? Meinem Teenie-Ich juckte es in den Fingern, herauszufinden, ob an dieser Idee etwas dran war. Ganz von der Hand weisen konnte ich sie nicht – immerhin hatten allen Frauen im Film glattrasierte Körper. Egal, ob sie gerade vom Shopping kamen oder gegen Aliens kämpften. Egal, ob der Film im Mittelalter oder anno 1998 spielte. Ich probierte das mit dem Glattmachen also aus. Mehr Verehrer bekam ich dadurch nicht – aber es wurde zu etwas, „das man als Frau so macht“. Nur den Intimbereich, den ließ ich erstmal, wie er war. Zu groß waren die Bedenken, mit dem Rasierer an empfindlichen Stellen Wunden aufzureißen. Überhaupt, mit 13 denkt man meist, dass Jungs „das da unten“ eh in nächster Zeit nicht zu sehen bekommen.
„Sonst macht Oral einfach keinen Spaß!“
Als ich meine Enthaarungsroutine erweiterte, war ich gerade in den 20ern angekommen. Es gab da einen Mann, den ich sehr begehrte – zumindest für eine Weile. Dieser fragte mich beim Duschen, ob ich schon einmal über das Glattrasieren nachgedacht hätte und ob er mir das mal zeigen dürfe. Ich war im ersten Moment ein wenig perplex. „Warum denn?“ – „Na, sonst macht Oralsex einfach keinen Spaß. Ich bin ja auch rasiert und es macht einfach keinen Bock, Haare im Mund zu haben.“
Okay, den letzten Punkt konnte ich sehr gut nachvollziehen. Und auf freche Zungen wollte ich auf keinen Fall verzichteten, also startete ich zusätzlich zu meiner bestehenden Routine noch „Mission Nacktschnecke“. War ja nichts dabei, überhaupt … Wo sah man in Unterwäschewerbung schon mal ein Haar hervorblitzen? Komplettenthaarung schien also auch irgendwie „normal“ zu sein, zumindest für Frauen. Von meinen männlichen Partnern habe ich dies nie verlangt. Die „blonde Phase“ hatte ich zu diesem Zeitpunkt inzwischen übrigens längst hinter mir und als Jugendsünde abgehakt. Nach einigen „renaturierenden“ Ansatzfäbungen und Experimenten mit roten und dunklen Intensivtönungen war ich mittlerweile bei „hellbraun mit blonden Strähnchen“ angelangt. Aber wenn ich so darüber nachdenke, habe ich viele Veränderungen an meinem Körper nur vorgenommen, um für Männer attraktiver und begehrenswerter zu sein.
„Ich komme mir vor, als würde ich neben meinem Kumpel aufwachen!“
Eine letzte kurze Anekdote noch, dann mache ich Schluss mit „haarigen Details“. Versprochen. Mein inzwischen 21-Jahre altes Studi-Ich führte eine Fernbeziehung mit einem 11 Jahre älteren, manchmal etwas cholerischen Mann, der schon voll im Berufsleben angekommen war und Statussymbole liebte. Dienstwagen und Cabrio inklusive. Nicht, dass mich diese Dinge je sonderlich gepackt hätten, aber jeder Mensch ist anders. Alle zwei bis vier Wochen fuhr ich nun also mit dem Zug von NRW nach Bayern. Sieben Stunden freitags hin, sieben Stunden sonntags zurück. Die anderen Wochenenden übernahm er mit dem Auto – bei einem Tempo bis 200 auf der Autobahn natürlich bedeutend schneller. An einem Tag wachte ich nach einer durchgefeierten Nacht in seinem Bett auf und er sah meine Unterarme ein wenig befremdlich an. Ich war verwirrt. „Stimmt was nicht?“, fragte ich direkt. „Hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, deine Unterarme zu rasieren? Ich meine, ich komme mir vor, als würde ich neben meinem besten Kumpel aufwachen.“ Und weil ich es nicht anders kannte, griff ich eben auch da zum Rasierer … Wenn man halt schon einmal dabei war …
Haarige Erkenntnisse
Heute würde ich derartige Kommentare wohl in die Kategorie „Bodyshaming“ einordnen. Zu diesem Schluss kam ich aber erst 2011/2012, als ich mich für ein Seminar an der Uni mit den Themen „Body Positivity“ „Health at Every Size“ und „Körperbilder“ näher beschäftigte. In einer Seminarstunde einer sehr coolen amerikanischen Gastdozentin ging es um Frauenkörper in den Medien und um Vorurteile gegen Frauen aufgrund ihrer körperlichen Merkmale. Und auch da stolperte ich wieder über das Thema „Körperbehaarung“ – sowie über Bloggerinnen, die sich ganz bewusst gegen einen haarfreien Körper aussprachen. Es ging um Beleidigungen, Shitstorms, böse Blicke und Kommentare auf der Straße- sprich: Bodyshaming. Die Art von Bodyshaming, die vor allem Frauen mit dunkleren oder dickeren Haaren trifft.
Das ganz Seminar hier wiederzugeben, würde zu weit führen, aber ein paar der gängigsten Vorurteile gegen behaarte Frauen kann ich kurz auflisten:
Unrasierte Frauen sind ungepflegt.
Unrasierte Frauen haben keine Selbstachtung.
Intimbehaarung ist eklig, weil dort Flüssigkeiten und Blut kleben bleiben und sich dann alles entzündet.
Frauen mit Intimbehaarung bekommen leichter Krankheiten und Parasiten.
Unrasierte Frauen sind faul und undiszipliniert.
Unrasierte Frauen sind unattraktiv.
Wow. Ein ziemlich negatives Mindset gegen eine natürlich gewachsene Sache, die von der Evolution eben biologisch festgelegt wurde. Sobald aus Jungen Männer und aus Mädchen Frauen werden, bekommen sie Haare am Körper. Beide. Bei Männern ist das „normal“, „natürlich“ oder sogar „sexy“. Und bei Frauen? Marke: „Man hole mir den Kotzeimer!“. Alles in allem also ziemlich steile und verrückte Thesen!
Von ewiger Jugend, Jungfrauen, Pornos und Privilegien
Die eigentlich spannende Frage ist ja: Was steckt hinter all diesen negativen Assoziationen gegenüber Frauen mit Körperbehaarung? Hier einmal die Erkenntnisse, die ich im Verlauf meiner HAES-Recherchen gewonnen habe, der Reihe nach.
Das Schönheitsideal glatter (und idealerweise straffer) Haut symbolisiert Jugend und Jungfräulichkeit. Selbst dann, wenn eine Frau schon erwachsene Kinder hat. Das Ideal der Jungfräulichkeit und „Reinheit“ durchzieht auch heute noch viele Kulturen und spiegelt sich in den westlichen Industrienationen z.B. in weißen Hochzeitskleidern wider.
Schönheitspflege – und damit auch das Entfernen von Körperhaaren – zeugt von „zivilisiertem“ Verhalten und gesellschaftlichen Privilegien. In früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden widmeten sich nämlich nur Frauen aus vermögenden Familien oder hohen gesellschaftlichen Schichten intensiv der Haut- und Haarpflege. Warum? Weil sie’s konnten. Die gesamte „Unterschicht“ hatte schlicht keine Zeit für Rosenblütenbäder und Heißwachs oder Zuckerpaste. Sie musste nämlich jeden Tag hart für ihr „täglich Brot“ schuften. Von diesem historischen Kontext ausgehend, welcher übrigens bis in die Ära Cleopatras und noch weiter zurückreicht, fühlen sich noch heute viele Frauen unterbewusst „privilegiert“ und „zivilisierter“, wenn sie sich intensiv der Körperpflege inklusive Enthaarung widmen.
Die Intimbehaarung beider aller Geschlechter rückte in den 1980er Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit, bedingt durch die aufstrebende Pornoindustrie. Was soll man sagen – „What you see is what you get!”. Der (damals zumeist männliche) Konsument pornografischer Filme wollte eben im Detail sehen, wie „der Schlüssel das Schloss knackt“. Das ist mit „Busch“ zwischen den Beinen eher schwierig. Außerdem: Rasierte Glieder sehen im Film nach den Grundgesetzen der optischen Täuschung eben länger aus. Und „Nacktschnecken“ erwecken eine Illusion von Jugendlichkeit.
So, genug verbal herumgesaut für heute. Man will ja nicht, dass Leserinnen und Leser noch rote Ohren bekommen. Aber, mit all diesen gewonnenen Erkenntnissen, wie stehe ich eigentlich heute zum Thema Körperhaare?
Regt euch ab, es sind nur Haare!
Eine Sache vorweg: Es gibt auch krankhafte. hormonbedingte oder erblich erworbene Haarwuchsstörungen bei Männern UND Frauen gibt (vorzeitiger Haarausfall, ausbleibender Haarwuchs, Haarverlust bei einer Chemotherapie, Hirsutismus etc.). Und für Menschen, die davon betroffen sind, wirkt Body-Hair-Shaming doppelt diskriminierend. Ebenso für Migrantinnen und Migranten aus südlichen Ländern, die eben von Natur aus teilweise dunkleres und dichteres Haar haben – und das nicht nur auf dem Kopf. So what, das ist Natur! Natur ist weder perfekt noch einheitlich. Und wäre dies dies, wäre das Leben doch furchtbar langweilig! Ich selbst rasiere, wachse und färbe nach wie vor- es ist mir einfach in Fleisch und Blut übergegangen. Allerdings distanziere ich mich von allen gemeinen Vorurteilen, die behaarten Frauen „Teufelshörner“ aufsetzen.
Um ehrlich zu sein, finde ich Frauen, die sich nicht um ihre eigene Behaarung scheren, sogar ziemlich cool. So wie die ehemalige Tagesmutter meiner älteren Tochter. Oder ihre Reitlehrerin, die auf ihrem Hof vermutlich Besseres zu tun hat, als sich über ein wenig „Fell“ Gedanken zu machen. Überhaupt ist es im Grunde ein Jammer, dass die Evolution dem Menschen das Fell entzogen hat – man würde mit Fell viel weniger frieren und bräuchte keine Kleidung. Also egal, ob ihr „Team Busch“, „Team Nacktschnecke“, „Team Natur“, „Team Glatt“ oder “Team-irgendwas-dazwischen“ seid – das ist alles gleich in Ordnung. Und allen, die euch und eure Körper nach Behaarungsgrad beurteilen wollen, könnt ihr getrost sagen: „Regt euch ab, es sind nur Haare!“.
Ein kleiner Fun-Fact und Lacher zum Schluss: Nicht nur Frauen sind sich manchmal unsicher, ob sie wirklich „unten ohne“ herumlaufen wollen. Befragt dazu einfach mal „Eure Mütter“!
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