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Weihnachten bei Mrs Grinch

So ziemlich jeder kennt den „Grinch“, diesen grünen Typen, der Weihnachten hasst und auch allen anderen das Fest vermiesen will. Ich bin auch nicht gerade ein „Weihnachtsjunkie“. Hass wäre zu viel gesagt – eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem „Fest der Liebe“ (und der Haupteinnahmesaison des Einzel- und Onlinehandels) trifft es eher. Dumm nur, wenn eine neutrale Haltung gegenüber Weihnachten im persönlichen Umfeld nicht gerade auf Gegenliebe stößt.




„Habt ihr schon geschmückt und Plätzchen gebacken?“, fragte letztens meine Oma und sah dabei bezeichnenderweise nicht meinen Mann, sondern mich an. Als ob Weihnachtsvorbereitungen davon abhingen, ob man einen Penis oder eine Vagina hat. Aber dazu später … Was mich an solchen Fragen viel mehr irritiert: Meine Familie und Freunde wissen eigentlich, dass Backen, Basteln und Dekorieren auch sonst nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählen. Warum sollte es im letzten Monat des Jahres also anders sein? Aber gut, Oma hat etwas gefragt, dann soll sie such eine Antwort bekommen. „Nächste Woche backen wir mit ein paar anderen zusammen Paw-Patrol-Kekse, beim Adventsbasteln basteln wir ein wenig Deko und geschmückt wird, wenn die Fenster sauber sind“, erklärte ich meiner geliebten Großmutter. Das war nicht einmal gelogen, als erste Klassenpflegschaft ist man bei jeglichen Schulevents oft ganz vorn mit dabei. Wir hatten uns wirklich mit einer Freundin und ihrer Nichte verabredet, um meiner Tochter den Backwunsch zu erfüllen und die Dame, die bei uns die Fenster putzt, war auch schon informiert. Oma nickte. „Das ist schön, dann kann Weihnachten ja kommen!“, verkündete sie lächelnd.Seelenfrieden gerettet – meiner und ihrer. Auf die Diskussion namens „Aber ihr müsst doch …“ verzichte ich nämlich sehr gern und wähle dann lieber den Kompromiss.


Das Gender-Holiday-Gap (GHG)


Abgesehen davon, dass ich oft einen Hang zum People-Pleasing zeige, hänge auch ich nämlich beizeiten in einem Phänomen fest, das ich hier als „Gender-Holiday-Gap“ bezeichnen möchte. Nämlich in der gesellschaftlichen Erwartung an den weiblichen (oder auch weiblich gelesenen) Teil der Familie, dass sich „Frauen und Mütter“ für alle Planungen, Vorbereitungen und wichtigen Arbeitsprozesse rund um Feiertage wie Weihnachten automatisch verantwortlich zeigen. Viele scheinen das auch nicht zu hinterfragen. Beim diesjährigen Adventsbasteln in der Schule waren die anwesenden Elternteile zu bestimmt 90 Prozent Mütter. „Basteln ist eben Müttersache“, kommentierte eine Freundin von mir schmunzelnd diese Beobachtung. Auch wenn sie bestens über das allgemeine Gender-Care-Gap informiert ist und dieses auch aus ihrem eigenen Leben kennt. Aber es muss nicht so sein – bei uns hat mein Mann ein viel größeres Interesse, in seiner Freizeit Dinge zu tun, die ich eher als lästig empfinde: Backen, Kochen, Dekorieren, Basteln. Wobei all dies natürlich auch vom allgemeinen Terminstresspegel und der aktuellen Tagesform abhängt. Ich gebe es ungern zu, aber im Rahmen der Schulveranstaltung fand ich die Gestaltung von Sternen aus Glitzerpapier sogar entspannend und lustig. Ebenso wie das Backen mit meiner Freundin. Auch hier gilt: Alleine machen ist (oft) doof.




Trotzdem ist das GHG ein ziemlich schräges Phänomen. Denn man geht mal wieder ungefragt davon aus, dass Mütter jederzeit alle anderen Pläne und auch ihre Arbeitszeiten verschieben können, um die Kita mit Keksen zu versorgen, beim Adventsbasar mitzuwirken oder bei Schulveranstaltungen Punsch auszuschenken. Hinzu kommen die Planung der viel zu opulenten Mahlzeiten und getakteten Abläufe während der eigentlichen Feiertage, Geschenkideen und -besorgung und natürlich die räumliche Gestaltung vor und während aller heimischen Events. Sprich: Im Extremfall ist frau Eventmanagerin, Köchin, Einkäuferin, Innenarchitektin, Reinigungskraft und Feelgood-Managerin in einem. Ein ziemlicher Aufwand für ein wenig Festlichkeit alle Jahre wieder.


Ich möchte betonen, dass es bei uns anders läuft – mein Partner beteiligt sich mindestens so aktiv an jeglichen Festplanungen und -vorbereitungen wie ich. Nicht nur zu Weihnachten, sondern über das ganze Jahr verteilt. Dennoch geht der Wunsch, kirchliche Hochfeste intensiv zu begehen, nicht von mir aus, sondern von anderen. Wir feiern es für die Kinder, mit Verwandten zusammen, die jeweils ihre eigenen Vorstellungen und Traditionen mitbringen. Ich für meinen Teil könnte einfach im Süden überwintern und mit einer Pina Colada an einem sonnigen Strand auf der anderen Erdhalbkugel mit Weihnachtsmännern und -frauen in Badehose oder Badeanzug anstoßen. Vielleicht mache ich das mal, wenn ich Oma bin – insofern mich die drohende Altersarmut nicht daran hindert.





Gibt’s eigentlich noch irgendwas zu feiern?


Drohende Altersarmut, Steuerwucher, Inflation und Rezession sind bekanntlich nicht die einzigen Krisen, die einem die weihnachtliche Vorsuppe ordentlich versalzen können. Immerhin herrscht faktisch in mindestens einem Drittel der Weltgemeinschaft regelmäßig oder aktuell Krieg, der Natur geht die Luft aus, alle paar Wochen stirbt irgendeine Spezies aus, irgendwo wird immer gefoltert und gemordet und auch das globale Hungerproblem hat bislang noch niemand gelöst. Bevor ich es vergesse - auch Tante Corona und ihre Freunde kommen natürlich immer sehr gern zu Besuch. Mehr noch: All diese Krisen werden in naher Zukunft nicht verschwinden, sondern sich wahrscheinlich noch verschärfen. Schließlich war diese düstere Zukunftsprognose schon vor ein paar Jahren da, wie es „Das Lumpenpack“ so passend besingt. Eben so, dass man bei jedem Einschalten der Nachrichten nur eines denken kann: „Was zum F…?“. Willkommen in der „schönen neuen Welt“ à la Culcha Candela. Ja, verdammt, Eminem hat mit „Soldiers“ in jeder Zeile recht und an der Stelle von Linkin Park würde ich mich auch fragen „what I’ve done“. Ich einfach als Teil der menschlichen Spezies.


Ich könnte nun eine ganze Liste von Songs erstellen, die sehr charmant und humorvoll eine drohende Apokalypse schildern. Fun-Fact: Dazu braucht es nicht mal Zombies, anscheinend schaffen wir Menschen es ganz allein, unser eigenes Kartenhaus zum Einsturz zu bringen. Und die Zombies verwerten dann die Reste. Zero Waste eben. Aber halt … sollte es nicht um Weihnachten gehen, um Glaube, Liebe, Hoffnung? Stimmt, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, wo ich den Glauben an ein Happy-End der Menschheit und die Hoffnung in positive Entwicklungen noch hernehmen soll. Aus dem Wissen, das man täglich aus aller Welt serviert bekommt, jedenfalls nicht. Dementsprechend niedrig ist auch meine Motivation, im Schatten einer Multikrise „O Tannenbaum“ neben einem abgehackten Tannenbaum zu singen, welcher im Wald als CO2-Filter sicher viel besser aufgehoben wäre. Wie soll ich ein opulentes Weihnachtsessen genießen, wenn ich weiß, dass in irgendeinem Kriegsgebiet gerade wieder Gefangene ausgehungert werden? Und wie soll ich mit leuchtenden Augen Geschenke auspacken, von denen ich weiß, dass sie sehr wahrscheinlich irgendwo zu Hungerlöhnen, im schlimmsten Fall durch Kinder, gefertigt wurden und hinterher als Plastikmüll im Meer oder auf Mülldeponien landen?




Muss denn dieses Weihnachten immer im Winter sein?


Zu generellen Sorgen um die Zukunft der Menschheit, meinerFamilie und Freunde und natürlich auch um meine eigene gesellt sich dann noch ein alter Bekannter – der Winterblues. Da ich offenbar in der falschen Klimazone geboren wurde und mir ein Umzug in südlichere Gefilde zu teuer und zu weit weg von meinen Liebsten erscheint, bin ich von November bis Ende Februar grundsätzlich „Miss Frosty“. Ergo, ich könnte ständig essen, fröstele unabhängig von der Anzahl an Kleiderschichten am Körper und so richtig Lust auf den Tag habe ich morgens beim Aufstehen auch nicht. Zu dunkel, zu kalt, zu regnerisch … Was, rausgehen? Ihr wollt mich wohl veräppeln! Es ist Zeit für den Winterschlaf.


Natürlich mag ich die Schneekönigin, aber eben am liebsten am Fenster oder auf dem Fernsehbildschirm. Mit einem heißen Kaffee oder Tee in der Hand und ein paar Snacks. Und dann dieses Eiskratzen, Streuen und – des Deutschen liebstes Winterhobby – Schneeschippen immer. Okay, zugegeben – so richtig schöner Pulverschnee ist mir noch lieber als „November Rain“ und es freut mich, die Kinder darin herumtollen zu sehen. Aber zuschauen reicht mir. Die Adventszeit mit Winterblues kann ziemlich durchwachsen sein – nicht nur meteorologisch betrachtet, sondern auch auf meinem Stimmungsbarometer. Da kann ich morgens wie ein Rohrspatz über die vereiste Autoscheibe trotz Thermofolie fluchen und nachmittags verzückt die Schneeflocken am Fenster betrachten. Alles ist drin in der Gefühlswundertüte, oft weiß ich nur selbst nicht genau, was ich als nächstes herausziehe. Das mag verstehen, wer will – ich kann die Launen meiner inneren „Miss Frosty“ nie genau vorhersagen.




Meine Erwartungen an das „Fest der Liebe“


Wirke ich gerade ein wenig wie „Mrs Grinch“? Gewisse Parallelen sind sicher vorhanden, aber ebenso wie der Grinch selbst bin ich am Ende bereit, Kompromisse einzugehen. Weil ich meine Liebsten dann doch gern habe und sie glücklich sehen möchte. Weil ich gerne Zeit mit ihnen verbringen möchte, an die wir uns alle gern erinnern. Und weil ich zwar nicht wie Michael Patrick Kelly an „wonders in a broken world“ glaube, aber lieber Teil der Lösung als Teil des Problems bin. Allein kann ich die Welt nicht retten – aber meinen eigenen Wertekompass so ausrichten, dass ich nicht komplett am Ziel vorbei segele. Deswegen gelten auch an Weihnachten für mich dieses Jahr einige wichtige Grundsätze.


Secondhand first!


Alles, was schon einmal verwendet wurde, muss nicht erneut unter zweifelhaften Bedingungen hergestellt werden. Deswegen sind die Geste und das Geschenk noch lange nicht weniger wert.


Bitte vegetarisch oder vegan!


Für mein Weihnachtsessen soll kein Tier sterben müssen. Wir brauchen keinen „dicken Puter“ auf dem Tisch – pflanzlich geht auch. Komplett vegane Mahlzeiten und Snacks lassen sich mit noch weniger schlechtem Gewissen genießen. Zumindest zählt das für unseren Festtagstisch.


Perfekt ist langweilig!


Ob wirklich alle Geschirrelemente auf dem Tisch perfekt zusammenpassen, ist unerheblich. Wir spielen nicht „Das perfekte Dinner“, sondern wollen nur eine gute Zeit mit Freunden und Familie erleben. Nein, ich mache das auch nicht für mein Instagram-Profil, auch wenn ich mich dort natürlich immer über Leser*innen freue.


Bodyshaming und Foodshaming müssen draußen bleiben!


Es ist egal, ob wir in unseren Outfits perfekt aussehen und wie viele Kalorien die Soße hat. Ja, jeder „darf“ auch zwei Portionen Nachtisch essen. Nur Spielverderber nutzen die Feiertage für Bodyshaming und Foodshaming.





Bäume gehören in den Wald!


Denn genau da ist ihr Platz und dort nützen sie dem Planeten. Deswegen gibt es dieses Jahr – in der Tradition verstorbener (Ur-) Großeltern – „nur“ die alte Krippe und ein paar große Tannenzweige.


Kinderkunst und „Altbewährtes“ statt IKEA-Haul!


Jedes Jahr neue Weihnachtsdeko hinzukaufen? Ja, bin ich denn irre? Da sowohl meine verstorbene Schwiegeroma als auch die ehemalige Hausbesitzerin offenbar Weihnachten liebten, würde das vorhandene Material locker für zwei Häuser reichen. Ein paar neue Akzente setzen dieses Jahr die selbst gebastelten Eiskristalle und Schneemänner unserer älteren Tochter und ein paar passende Kuscheltiere. Meinetwegen darf sie auch ihre Paw-Patrol-Figuren vor die Krippe stellen und ihre Fellfreunde mitfeiern lassen.


Auch Reste wollen verzehrt werden!


Bloß nichts noch einmal aufwärmen? Diese Einstellung wirkt in Anbetracht des weltweiten Hungerproblems auf der einen und des Verschwendungsproblems auf der anderen Seite geradezu zynisch. Deswegen wird der „Rest vom Fest“ wird nach Weihnachten bestmöglich verwertet oder rechtzeitig kühl gestellt oder eingefroren. Zu einem späteren Zeitpunkt werden wir uns darüber freuen.


Was sind eure besonderen Traditionen, Werte und Erinnerungen, die ihr mit Weihnachten als Familienfest verbindet? Oder lasst ihr die Feiertage einfach an euch vorüberziehen (was auch in Ordnung ist)?


Eure „frosty grinchy Cat“





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