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Der stille Wechsel – über (meine) Silvester-FOMO

Schon wieder ist (fast) ein Jahr vorbei, übrigens wird auch dieser Blog in ein paar Tagen ein Jahr alt. Doch das Jahr wird sich bei uns still verabschieden – ohne Party, sogar ohne Besuch der Familie. Warum sich das für mich seltsam und unbehaglich anfühlt – und dennoch kein Drama ist.




Ein Jahr wie eine Achterbahnfahrt


Zwei Tage vor Jahresende ist ein guter Zeitpunkt, um kurz Bilanz zu ziehen. Müsste ich das Jahr 2023 mit einem Wort beschreiben, würde „durchwachsen“ es recht gut treffen – oder aber „Achterbahn“. Von mehreren schweren Erkrankungen im Familienkreis über Feechens Neustart in einer anderen Klasse bis hin zu einer aufregenden und schließlich erfolgreichen Suche nach neuen beruflichen Herausforderungen war so ziemlich alles drin, was geht. 2023 war anstrengend, oft unvorhersehbar und irgendwie nicht weniger verrückt als schon 2020, 2021 und 2022 mit Hausrenovierung, Schwangerschaft, Geburt, Einschulung, Kitastart und Pandemiegeschehen. Nicht zu vergessen natürlich all diese irrwitzigen Dinge, die sich zurzeit auf weltweiten Kriegsschauplätzen abspielen – aber zum Thema Krisenstimmung gibt es ja schon einige Posts im Blog. Wie man es dreht und wendet – in der morgigen Nacht heißt es: Goodbye 2023 – hello 2024! Bereit fürs nächste Level? Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber man läuft eh nicht davor weg.


Absolut im Klaren bin ich mir darüber, dass es dieses Jahr ein recht „stiller“ Wechsel sein wird. Denn es wird keine Party geben, nicht einmal ein Zusammensitzen mit Freunden und Verwandten. Egal, wie früh ich dieses Jahr herumgefragt und Ideen ausgearbeitet habe, es passte einfach nicht. So sind wir – also mein Mann, meine Kinder und ich – dieses Jahr allein zu Hause. Meinen Mann stört das nicht im Geringsten, er könnte den Jahreswechsel auch einfach verschlafen. Mir versetzt es schon einen Stich, zu wissen, dass ich vielleicht allein am Fenster sitzen werde, während gefühlt überall die Korken knallen, sich Menschen feuchtfröhlich um den Hals fallen und bis in die Morgenstunden feiern. Man könnte es als eine Art „Silvester-FOMO“ bezeichnen – die Angst, zu diesem Anlass, der kollektiv so zelebriert wird, in eine Außenseiterrolle zu fallen. Wann immer ich an gesellschaftlichen Anlässen nicht teilnehmen kann oder dazu nicht eingeladen werde, ploppt sofort die Frage auf: „Habe ich denn gar keine Freunde mehr – bin ich so unbeliebt und wertlos?“. Mein rationaler Verstand weiß, dass diese Gedanken Bull*it sind. Auch 2023 hatte ich an 364 Tagen im Jahr Menschen, die mich wichtig und interessant genug finden, um sich mit mir zu unterhalten und in irgendeiner Weise Zeit mit mir zu verbringen. Warum also diese FOMO, nur, weil es am Jahreswechsel still um mich wird?





Das Millenium-Trauma


Warum mich Alleinsein gerade an Silvester so platt macht, wo ich doch sonst froh um jede Minute bin, die ich abends für mich habe, war mir ein Rätsel. Also habe ich mich innerlich auf die Suche nach Antworten begeben – und diese eine Schlüsselsituation gefunden, den Glaubenssatz „Wenn du Silvester nicht eingeladen bist, mag dich keiner!“ so extrem triggert. Ich nehme euch in meiner Zeitmaschine mit zum Jahreswechsel 1999/2000 – der „Party des Jahrhunderts“ für viele Teenies wie mich, oder auch: des Jahrtausends? Immerhin gibt es seit Monaten Deko mit „Millenium“-Designs zu kaufen und der Tausender in der Jahreszahl wechselt von „1“ nach „2“. Nur rein nüchtern und mathematisch betrachtet.


Aber mein Teenager-Ich kann mit Mathe in den Ferien nicht viel anfangen, hat genauso den großen Millenium-Events entgegengefiebert wie alle anderen Teenies seiner Klassenstufe und … wurde zu keiner Party eingeladen. Also befinde ich mich mit 14 Jahren an der Nordsee mit meinen Eltern, meiner Großtante, meinem Großonkel, meiner Oma und einer Cousine meiner Mutter. Was als Erwachsene irgendwie nach einer Mischung aus Entspannung und Langeweile klingt, ist für einen Teenie mit 14 Jahren meist das soziale Todesurteil. Versteht mich nicht falsch, ich liebe meine Familie und mag das Meer (und so ging es mir schon mit 14), aber in dieser Konstellation in einem Ferienhaus auf einer Nordseeinsel zu sitzen kann in dieser Lebensphase nur eines bedeuten: Du hast in deiner Peergroup komplett versagt und keiner mag dich. Und die, die dich vielleicht noch ein bisschen mögen, wurden von ihren eigenen Familien genötigt, ihnen Gesellschaft zu leisten. Heute würde man wohl sagen: Du bist echt ein NPC.





I’m a loser, Baby …


Allzu falsch liegen meine werten Klassenkamerad*innen bei meinem geschätzten NPC-Status übrigens nicht. Schließlich sind sie es, die mich in der Schule permanent herunterputzen, mein Selbstbewusstsein aushöhlen, mir den letzten Nerv rauben und mich vor allem von allen gemeinschaftlichen Events ausschließen, wo sie es können. Sozialer Ausschluss (auf Fachdeutsch: Ostrazismus) ist psychische Folter und zerstört Leben. Denn er bringt Menschen dazu, das Vertrauen in sich selbst, ihr Umfeld und ihre Zukunft zu verlieren. Wir Menschen sind – wie viele andere Wesen – darauf angewiesen, in unserer Gemeinschaft dazuzugehören. Was passiert, wenn ein „Rudelmitglied“ ausgeschlossen wird, sieht man recht deutlich bei Präriehunden. Das betroffene Tier verliert so automatisch den Schutz und die Vorteile seiner Lebensgemeinschaft und schwebt auf sich selbst gestellt in Lebensgefahr – sei es durch Hunger oder durch Raubtiere. Wen wundert’s, dass Ausgeschlossensein da auch beim Menschen existenzielle Ängste auslöst?


So gesehen lebe ich im Schuljahr 1999/2000 permanent in einem Zustand existenzieller Bedrohung. Übrigens soll dieser Zustand noch ein paar Jahre andauern – doch zu seinem Glück oder Leidwesen ist mein Teenie-Ich noch optimistisch oder auch naiv genug, um an eine magische Wendung im neuen Jahrtausend zu glauben. Ein Besuch im Fischrestaurant, heißer Kakao, ein paar Gesellschaftsspiele und das eine oder andere Glas Wein … ich möchte nicht behaupten, dass meine Familie mich damals alleingelassen hätte. Im Gegenteil- sie hatte dieses Millenium-Desaster im Grunde schon mit eingeplant und ihr Bestes getan, es schön zu gestalten. Trotzdem schießen mir am Deich beim Betrachten des Feuerwerks kurz Tränen der Enttäuschung in die Augen. Mein Handy (damals noch ein Nokia3210 ohne WhatsApp und Instagram) schweigt eisern, keine einzige SMS, um mir einen guten Rutsch zu wünschen. Nur vereinzelt, von ein paar Freundinnen, die auch im Urlaub mit ihren Familien sind (aber im sozialen Gefüge der Schule ansonsten gut dastehen).





Irgendwo weiter entfernt höre ich eine Clique gröhlen, sehe sie böllern und sich gegenseitig in die Arme springen. „Milleniuuuuum, juchhuuuu!“, schreien sie deutlich angeschickert in den Küstenwind hinaus. „Das wird unser Jahr!“, brüllt noch einer und ich schließe nur still die Augen. Meins nicht, denke ich verbittert. Denn es stimmt. Ich bin offenbar ein Loser, ein Nichts, vielleicht doch irgendwas, aber definitiv kein vollwertiges Mitglied der Teeniecliquengesellschaft. Das Schweigen meines Handys zeigt mir deutlich, dass ich wirklich keine Freunde in meiner Welt habe. Zumindest fast keine. „Wir wollen wieder rein, kommst du?“, fragt mich mein Dad, während ich meinen düsteren Gedanken nachhängen. „Noch ne Runde Kniffel spielen, du magst doch Kniffel“. Erst zucke ich erschrocken zusammen, dann nicke ich. „Ja ich … bin gleich da!“.


Das Millenium – was danach geschah


Lassen wir „Teenie-Cat“ nun in der Vergangenheit bei Full House, Kleiner Straße und Viererpasch. Es hat dennoch gut getan, sie zu besuchen und ihr zu versichern, dass diese unerträgliche Situation nicht für immer sein wird. Dass sie wieder aufstehen und auf ihre Art strahlen wird, wenn sie ihre Kräfte erst wieder bündeln kann. Sie ist jetzt ich – selbst Mutter zweier wundervoller Töchter, mit einem tollen Partner an der Seite, mehreren Studienabschlüssen und Berufserfahrung in der Tasche und einem schönen Haus. Nicht, dass Statussymbole bestimmen, wer du bist. Viel wichtiger ist, dass sie gelernt hat, nicht jedem gefallen zu wollen und viele ihrer Ängste in Energie zu verwandeln. Sie ist schon lange kein Opfer mehr, sondern ist zu einer ernstzunehmenden Gegnerin geworden, wenn man ihr noch einmal so tiefe Wunden zufügen will.


Aber sie hat auch gelernt, loszulassen, einiges zu klären und zu vergeben und sie versteht jetzt, dass viele Stürme nur vorübergehend wüten, um danach wieder abzuflauen. Kurz gesagt: Sie musste erst durch die Hölle gehen, um zu sehen, dass ihr Wert nicht von der Sympathie jener Menschen abhängt, die ihr nicht guttun. Deshalb ist ihr Profil eines „echten Freundes“ inzwischen klarer als je zuvor und sie stürzt sich nicht mehr in jede Schlacht, um Ruhm und Anerkennung zu erlangen. Innerer Frieden ist ihr wichtiger geworden als in jede Schublade zu passen, die man für sie öffnet. Denn sie ist aus diesen Schubladen herausgewachsen.




Nur hin und wieder, wie an Silvester, meldet sich das hoffnungslose und verzweifelte Teenie-Ich und sucht Bestätigung und Trost. Und ich kann ihm sagen: „Du wirst wieder glücklich und frei sein. Hab ein bisschen Vertrauen und komm mit mir in die Zukunft!“. Und in Gedanken wischt sie sich eine Träne aus dem Gesicht, lässt den Küstenwind ihre düsteren Gedanken forttragen und beschließt, niemals aufzugeben. Ich weiß nicht, wer das hier gerade hören muss, aber: Es ist kein Weltuntergang, auch Momente allein zu durchleben. Es ist aber auch verständlich und total normal, dass du dich dabei vielleicht besch...eiden fühlst und an dir zweifelst. Schließlich bist du in deiner düsteren Gedankenwolke der oder die Einzige, die gerade eine derartige Beschämung durchlebt. Aber … stimmt das?


Zeit für den Menschen, ohne den nichts geht


Der kollektive Glaube daran, Silvester müsse man immer als gemeinschaftliches Event feiern, ist in vielen Kulturen fest verankert. Dennoch neigen wir dazu, manche Anlässe als Gesellschaft bis zum Erbrechen hochzustilisieren. Dabei gibt es einen guten Prozentsatz an Menschen, die an den Weihnachtsfeiertagen und auch an Silvester schlicht arbeiten (müssen). Andere ziehen private Feiern im kleinen Kreis vor, während vor allem manche introvertierten und ambivertierten Menschen teilweise gar keine Lust haben, sich überhaupt ins Getümmel zu stürzen. Und dann gibt es noch die Sorte Mensch, die Festen wie Silvester aus Prinzip nichts abgewinnen kann und sich denkt: „Das Datum ändert sich, na und?“. So komisch es sich also anfühlen mag, nicht im „großen Kreis“ oder auf einer angesagten Party das neue Jahr zu begrüßen … Es ist kein Grund, sich wertlos zu fühlen. Denn selbst wenn gerade niemand anders um dich herum sein sollte, verbringst du die Nacht mit dem Menschen, der dich seit deiner Geburt begleitet – mit dir selbst.





Nachdem ich meine innere „Teenie-Cat“ ein wenig aufmuntern und ihr ihre Ängste nehmen konnte, freue ich mich nun auf einen Filmabend ohne Dresscode mit meinem Mann und meinen Kindern. Auf ein Glas Sekt auf dem Balkon und natürlich auf Neujahr. Denn da kommen endlich die Gäste, um Kobolds Geburtstag mit uns zu feiern und unser Kalender wird auch wieder gut gefüllt sein. Wie verbringt ihr den Jahreswechsel? Lasst ihr es richtig krachen oder seid ihr eher froh, nach den Weihnachtstagen mal durchatmen zu können und macht einfach mal gar nichts? Oder plant ihr „irgendwas dazwischen“? Egal, wie ihr euch entscheidet – das neue Jahr kommt so oder so, als bunte, manchmal schockierende Wundertüte! Und natürlich wird es auch 2024 viele neue Artikel aus dem „Katzenkörbchen“ geben. Rutscht gut durch und bleibt euch treu!


Bis dahin :)


Eure Cat

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