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Abiball mit Under-Wonder

Sich zu besonderen Anlässen elegant kleiden – dieses Bedürfnis hat man nicht nur bei seiner eigenen Hochzeit. Und sicher hat auch jedes Mädchen und jede Frau ihr „Traumkleid“ für jeden dieser Anlässe. Das Problem dabei: Dieses unsichtbare Monster namens „Bodyshaming“ schleicht sich wirklich mit auf jede Party. Oder es schließt sich schon ungefragt der Shoppingtour an. Ein Beispiel aus dem „echten Leben“.





Der Abiball, mein Kleid und ich


Wer die Überschrift liest, fragt sich nun zu Recht: „Was zum Geier ist denn nun ein Under-Wonder schon wieder?“. Um das Rätsel aufzulösen – es handelt sich um Shapewear mit einem etwas seltsamen Namen von einer Marke, die womöglich gar nicht mehr existiert. Ich erinnerte mich letztens wieder mit einem Schmunzeln an das „Under-Wonder-Thema“, als ich zum gefühlt tausendsten Mal in meinem Facebook-Feed die Werbung einer bestimmten Shapewear-Marke angezeigt bekam. Meine erste Shapewear bekam ich nämlich mit 19, zu meinem Abiballkleid, um eine „regelmäßige Silhouette“ darin zu zeigen. So nannte es zumindest die Dame mittleren Alters, die meine Mum und mich im Braut- und Ballmodengeschäft beriet.


Aber einmal auf Anfang zurückgespult – ich nehme euch mit zu meinem 19-jährigen jüngeren Ich. Ein wenig mollig und weich vielleicht rund um die Hüften und an den Beinen, aber ansonsten absolut in Schuss. Und ich befinde mich mitten in den Vorabitur- und Abiturprüfungen. An diesem Tag hat mich meine Mutter mit in ein Ball- und Brautmodengeschäft genommen, ich brauche ein Kleid für den Abiball. Ich habe zwar nicht viel Erfahrung mit Ballkleidern mangels Anlässen dazu, aber eine etwaige Vorstellung davon, was ich möchte, habe ich schon. Die Farbe ist mir ziemlich egal (rosa oder knallrot muss es nicht unbedingt sein und alles ohne Träger finde ich unpraktisch), aber ich möchte mich wie eine Prinzessin darin fühlen. Ich weiß, komm raus, Klischee, du bist umzingelt. Aber so denkt man als Teenager und angehender Twen eben manchmal noch – und überhaupt, nach allem Mist, den ich erlebt habe, habe ich mir zumindest einen würdevollen Abgang verdient. In dem Sinne: Cheers, Folks!





Einmal Pummelprinzessin und zurück


Wir schauen uns also um und ich zeige gleich auf ein Kleid aus dem Schaufenster. Türkis schillernd, mit einem Korsagenoberteil, Rüschenärmeln und einem langen, glockenförmigen Rock. So etwas habe ich mir vorgestellt. Gespannt warte ich auf die Reaktionen meiner Mum und der sehr elegant und gepflegt wirkenden Verkäuferin mit leicht ergrautem Haar. „Ähm“, fängt meine Mutter an, „Denkst du nicht, es darf auch etwas … Schlichteres sein? Ich meine … du willst doch nicht wie ein Pastellbonbon aussehen oder?“ Autsch. Ob gewollt oder nicht, der hat gesessen. Nur, weil ich nicht spindeldürr und drahtig bin, soll ich mich bitte schön verstecken und schämen? Die Verkäuferin scheint diesen sich anbahnenden Generationenkonflikt zu erahnen. Sie versucht es auf diplomatischere Weise. Allerdings nicht gerade hilfreich. „Ein gerader Schnitt würde Ihnen wahrscheinlich mehr schmeicheln und eine schlichtere Farbe kann man später immer wieder verwenden, weil sie zeitlos ist. Außerdem … haben wir manche Modelle tatsächlich nur in kleineren Größen und müssten sie ansonsten bestellen.“


Ich schlucke meine Enttäuschung und meinen Ärger hinunter und bedenke ihre Argumente. Vermutlich hat es meine Mutter nicht so böse gemeint, wie es klang. Sie hält generell nichts von Pastell, Rüschen, glänzenden Stoffen und Tüll. Ihr eigener Stil ist auch komplett geradlinig und, wie die Verkäuferin es ausdrückte, „zeitlos“. Keine negative Wertung, eher eine positive Beobachtung. Sie findet immer Basics, die sie gut kombinieren kann. Normalerweise denke ich genauso, aber … es ist doch MEIN Abiball, oder? Nicht irgendein Schultag oder irgendeine Party. Ich denke nochmal kurz über den geraden Schnitt nach und über die Möglichkeit, das Kleid anschließend einmal kürzen zu lassen. Vielleicht sollte ich der Idee eine Chance geben.





Wir probieren einige Kleider an – nicht direkt meine „Wunschvorstellung“, aber Kompromisslösungen. Schließlich bleiben meine beiden Jurorinnen an einem dunkelgrauen Kleid aus Crêpe-Stoff (also leicht geriffelt) hängen, mit dezentem Ausschnitt, knöchellang und einigen weißen Glitzerapplikationen sowie einem moderaten Beinschlitz. Ich betrachte mich im Ganzkörperspiegel, hätte das so nicht ausgewählt, aber finde es eigentlich auch gar nicht so unpassend. Beziehungsweise passend auch für spätere Gelegenheiten. Vielleicht kann ich es mit etwas farbigem Schmuck aufpeppen. Es passt zu den schwarzen Pumps, die in Größe 42/43 schon recht schwer zu beschaffen waren, und zu der schwarzen Stola, die die Verkäuferin nun dazu herauskramt.


Die anderen beiden schauen nun mich erwartungsvoll an – und ich nicke einmal kurz. „Ja, ich denke, das wird gehen“, sage ich dann. Langsam mag ich auch nicht mehr. Viele Kleider, viele prüfende Blicke, die eine oder andere Kritik. Mein heutiges Ich, das selbst sein Kleid bezahlen kann, hätte sich vielleicht anders entschieden, aber mein jüngeres Ich ist mit dieser Lösung zumindest einverstanden. Prinzessin werde ich in diesem Leben eh nicht mehr. Dennoch wünsche ich mir heimlich die gute Fee aus "Cinderella" herbei - einmal schönzaubern, bitte. Aber nicht das Outfit, sondern den Körper.





Hello again, Bodyshaming!


Die Verkäuferin schaut mich noch einmal von oben bis unten an – ich finde solche „Röntgenblicke“ ja immer ein wenig gruselig. „Da fehlt aber noch was … sehen Sie? Es zeichnen sich an der Hüfte die Unterwäsche und ein paar kleine Unebenheiten ab.“ Nochmal auf Deutsch: Selbst ein „vorteilhafter“ Schnitt kann nicht verbergen, dass ich an einigen Körperstellen offenbar zu fett für meinen Abiball bin. Kurz bekomme ich Zweifel, ob ein Modell mit Korsage nicht doch angemessen wäre. Aber ich will die Diskussion nicht auch noch einmal aufrollen, habe Durst, Hunger und muss mal dringend auf die Toilette. Sowas geht mit einem schlichteren Kleid womöglich auch einfacher als mit einem „Traum aus Tüll“. „Und was schlagen Sie vor?“, fragt meine Mutter – genau die Frage hätte ich wohl auch gestellt. „Wir haben dafür das Under-Wonder. Unterwäsche aus festem Material, das die Silhouette formt und die man einfach unter das Kleid zieht.“


Nun soll ich meine Problemzonen mal wieder wegmogeln. Die individuelle Form meines Körpers sozusagen „unsichtbar machen“, um mich vor abschätzigen Blicken und gehässigen Kommentaren zu schützen und eine „gute Figur“ abzugeben. Na gut, was soll’s, kenne ich ja schon. Nur dass es dafür spezielle Unterwäsche gibt, wusste ich noch nicht. Deswegen bin ich glatt ein wenig neugierig. „Kann ich das Kleid nochmal mit diesem …Under… was auch immer anprobieren?“, frage ich, inzwischen komplett unmotiviert, noch irgendwelche Kleiderfragen zu klären. Die Dame nickt eifrig. „Under-Wonder. Ja, ich hole eines … Größe 44… 42? Na, wird schon passen.“ Sie lächelt und verschwindet im Lagerraum, um mit einem seltsamen, dehnbaren „Gummischlauch“ in Hautfarben wiederzukommen. Kein Wunder, dass das „Under“ ist – außen getragen hätte es den Sexappeal eines Leinensacks.


„Das müssen Sie nun einfach vom Po bis zu den Rippen hochziehen“, erklärt sie. Ich nicke und mache das einfach. Unregelmäßigkeiten weg, Bund der Unterwäsche weg. Nur gut, dass ich es nicht täglich anziehen muss – auf Dauer schwitzt man darin sicher ordentlich. „Es ist Formwäsche“, erklärt sie mir noch überflüssigerweise. Form? Ich geb dir gleich Form, denke ich ein wenig grummelig. Ich gehe nämlich dreimal in der Woche zum Sport und bin sehr gut in Form! Nur damit das mal klar ist. Aber ich habe auch einfach keinen Bock mehr auf jegliche Diskussionen über vorteilhafte Kleidung, meinen Körper und seine Schwachstellen.





"Dünne Menschen haben es eben leichter!"


Wir nehmen noch ein wenig passenden Haarschmuck und ein paar Strumpfhosen mit, bezahlen Kleid und „Under-Wonder“ und gehen dann erstmal eine Backkartoffel im „Knöllchen“ essen. Mum und ich reden nicht weiter über Kleider – jede von uns denkt sich ihren Teil. Innerlich winke ich noch einmal jenseits jeder Vernunft dem türkisfarbenen Kleid mit den Rüschenärmeln zu. Irgendwann darf auch ich sicher einmal wirklich Prinzessin sein. Bestimmt – wenn die „Dellen“ weg sind und sich keine Unterwäsche mehr abzeichnet. „Bist du glücklich mit der Auswahl?“, fragt mich Mum zwischen zwei Bissen dann doch einmal.


Ich will nicht unfair sein – aber auch nicht unehrlich. „Ich hatte mir anfangs was Anderes vorgestellt, aber ich bin auf jeden Fall zufrieden“, räume ich ein und es stimmt auch in jenem Moment. Mum sieht zu mir, dann auch an sich selbst hinunter. „Ja, die wirklich dünnen Leute haben es immer leichter, tolle Kleidung zu finden“, seufzt sie dann. Dem kann ich eigentlich kaum etwas hinzufügen, denn es stimmt – zumindest in einer Zeit, in der man ab einer gewissen Größe wirklich in ein „Große-Größen-Geschäft“ gehen muss. Eine Zeit, in der „Plus-Size“-Mode noch nicht allgegenwärtig in Kaufhäusern ist und der Onlinehandel noch nicht bestimmt, was "angesagt" ist.





"Say YES to the dress!"


Heute. fast 20 Jahre später und als Befürworterin von Körperkakzeptanz, würde ich womöglich eher für meine Kleiderwünsche einstehen - so banal sie auch sein mögen. Denn andere Menschen für ihren Körper zu verurteilen, wie subtil auch immer, ist so sinnlos wie schädlich. Und da manche Erlebnisse tief sitzen, habe ich bei der Auswahl meiner Hochzeitskleider für die Trauung und die Feier einfach niemanden aus meinem weiblichen Umfeld miteinbezogen. Deshalb, und weil ich einfach nicht so viel Zeit und Energie in das Projekt "Hochzeitsoutfit" stecken wollte. Am liebsten wäre ich wohl erst im Hosenanzug zum Standesamt gegangen, da macht einen wenigstens keiner dumm von der Seite an.


Aber nach Zuspruch durch meinen Mann habe ich mir dann doch zwei „Prinzessinnenkleider“ in Hellblau und Türkis ohne Shapewear für unsere Hochzeit gegönnt - Weiß steht mir eh nicht. Günstig aus dem Internet bestellt, mit einer größeren Größe als mit 19, von der Schneiderin um die Ecke enger genäht. Und komplett ohne Beratung in einem Braut- und Ballmodengeschäft. Und zu seiner eigenen Hochzeit ist man ja theoretisch keine Prinzessin mehr, sondern hat das Level "Königin" erreicht. Mein Abiballkleid habe ich aber für zukünftige Anlässe in guter Erinnerung. Abhängig davon, wie sich mein Körper entwickelt, kann ich es vielleicht bald wieder anprobieren und für Business- und Familienanlässe kürzen lassen. Denn eines sind Schnitt und Farbe auf jeden Fall – absolut zeitlos.





Also, liebe Prinzessinnen und Königinnen da draußen: Lasst euch nicht entmutigen. Was auch immer es in eurem Leben zu feiern gibt, nehmt einfach die Partyeinladung an. Und zwar im Outfit eurer Wahl. Es ist EUER Tag, EURE Feier und auch EUER Kleid. Übrigens - coole Kleidungstipps für "große Größen" findet ihr auch immer im Blog von Marshmallow-Mädchen und bei anderen Plus-Size-Bloggerinnen!








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