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Ich, Secondhand-Schnäppchenjägerin

Aktualisiert: 18. Mai 2023

Bei Flohmärkten und Angeboten für Gebrauchtwaren scheiden sich die Geister. Ist das alles alter, eingestaubter Kram oder lohnt sich die Schnäppchenjagd in den Umzugskisten und Kleinanzeigen anderer Menschen? Bei der Frage „Neu oder gebraucht?“ hat jeder und jede andere Vorstellungen und Vorlieben. Fakt ist jedoch: Die Gesellschaft der Zukunft braucht mehr Tauschhandel und eine nachhaltigere Nutzung von Dingen.




Als ich mir vor Jahren meinen ersten „Kleiderkreisel“- Account (heute: Vinted) anlegte und halbe Samstage mit meinem Mann auf Flohmärkten verbrachte, galt ich in meinem Freundeskreis eher als Exotin. Bei meinen Freundinnen galten Shoppingtouren durch die Kaufhausketten der Innenstadt als „Girls’ Day“,natürlich gekrönt von dem typischen Latte Macchiato und einer Pizza. Nicht, dass wir als Studentinnen besonders reich gewesen wären. Wir haben einfach eine Menge „Fast Fashion“ durchprobiert und manchmal auch gekauft. Eine Freundin von mir schaffte dabei sogar mühelos einen Shoppingmarathon von sechs Stunden nonstop, der für mich damals schon anstrengend war und der meine Füße und Nerven heutzutage killen würde.


Irgendwann entdeckte ich dann die Jägerin in mir und meine Liebe zu Flohmärkten. Denn auf dem Flohmarkt ist es keinesfalls sicher, dass man genau die Beute findet, auf die man es abgesehen hat („Ob ich wohl heute eine blaue Jeansjacke finde?“). Oder aber man entwickelt neue Beuteschemata („Also das Kleid ist doch ganz cool, hätte ich nicht gedacht!“). Wohlgemerkt – Schnäppchen zu einem Bruchteil des Neupreises und Preisspannen, mit denen nicht mal bekannte Textildiscounter mithalten können, teilweise für ansonsten teure Markenware. Spannenderweise überschnitt sich meine Kleiderkreisel-, Kleinanzeigen- und Flohmarktzeit bei vielen meiner Freunde mit dem Amazon- und Zalando-Hype.


„Das ist doch alter Kram!“


Gerade in meiner Verwandtschaft stieß meine Liebe zu nachhaltigem Secondhand-Shopping übrigens nicht immer auf Gegenliebe. „Was bist du geizig, kauf dir doch mal waund „Wer in altem Kram herumläuft, wird nicht ernst genommen!“, hörte ich recht häufig. Dabei gibt es auf Flohmärkten und in Secondhandläden durchaus auch viele kaum getragene und neuwertige Sachen zu kaufen. Und natürlich so manche „nostalgische“. Ich vermute, das ist einfach ein tief eingebranntes Statusdenken. Ich habe auch Freundinnen, die ihren Kindern „nie gebrauchte Sachen anziehen würden“ und lieber alles neu kaufen.




Für uns lohnt sich das nicht. Erstens trägt Kobold mit Begeisterung Feechens Kleidung, wenn diese nicht mehr passt. Zweitens wachsen Kinder so schnell, dass sich Neuanschaffungen nur bedingt lohnen und kriegen eine Menge kaputt. Drittens … nun ja … werde auch ich zu klein gewordene Kinderkleidung sowie gebrauchte Bücher und Spielzeuge noch oft an weitere Secondhand-Fans in meinem Umfeld los.


In der Pandemie, als Flohmärkte geschlossen blieben, jagte ich eher online gebraucht Schnäppchen. Dabei kann man oft Glück haben und manchmal auch Pech, aber in jedem Fall „verzockt“ man nicht unnötig viel Geld und tut etwas für die Umwelt und die Menschenrechte. Zudem wechseln Trends, Anlässe und Lebensphasen (z.B. Schwangerschaften) oft so schnell, dass sich teure Neuanschaffungen im Kleider- und Schuhschrank kaum auszahlen. Oftmals geben wir gut erhaltene Erwachsenen- und Kinderkleidung auch im Freundeskreis oder an die Kleiderkammer weiter. Alles, was nicht mehr „ansehnlich“ ist, wird noch im Haus, zum Haarefärben, bei Bau- und Gartenarbeit oder als Lappen verwendet.Ergo: Wir sparen durch eine lange Nutzung von Textilien Müll und Geld – auch wenn mancher dies als „geizig“ oder gar „stillos“ und „ärmlich“ ansieht.




Flohmarkt und Co – ein Blick in die Geschichte


Bedenkt man die Ursprünge des Geschäftsmodells „Flohmarkt“ (heute: Trödelmarkt), lässt sich das hartnäckige Schmuddel-Image des Gebrauchtwarenhandels übrigens leicht erklären. Denn der Lumpenhandel, bei dem französische Adlige abgetragene Kleidung an ärmere Bevölkerungsschichten, war alles andere als hygienisch. Hier ist – gemessen am Beginn dieses Geschäftsmodells im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit – der Name „Flohmarkt“ Programm und richtet sich tatsächlich nach dem Insekt. Im großen Stil wurden diese Märkte dann ab dem späten 19. Jahrhundert in und um Paris abgehalten.


Die „belgische Variante“ dieser Geschichte ist weniger „parasitär“, jedoch ebenso an eine deutliche Hierarchie zwischen Arm und Reich geknüpft. Hier bezieht sich der Begriff „Flohmarkt“ eher auf das allgemeine Gewimmel und die beliebige, chaotisch anmutende Zusammenstellung von Verkaufsgegenständen. Auch hier wurde ab dem späten 19. Jahrhundert in Grenzbereichen zwischen „Armenvierteln“ und „Reichenvierteln“ von Händlern all das weiterverkauft, was die wohlhabende Bevölkerung abgestoßen hatte. An sich eine sehr nachhaltige Variante, um Dinge sinnvoll wiederzuverwenden. Dennoch blieb die Message im Hintergrund: Wer gebraucht kauft, ist arm und kann sich „neu“ nicht leisten. Und „arm“ bedeutet in einer kapitalistischen Gesellschaft unterschwellig auch weniger respektabel.


Secondhand rettet nicht die Welt,aber…


Brachte ich vor zehn Jahren noch das Argument der Nachhaltigkeit gegenüber passionierten Neukäufern vor, erntete ich öfter mal einen genervten Seufzer oder ein Augenrollen. Das war noch, bevor wir aus allen Medienkanälen ständig mit der Klimakrise beschallt wurden, deren Auswirkungen sich nun verstärkt zeigen. Doch nicht nur das Damoklesschwert des Klimawandels, sondern auch die aktuelle Inflation und ständig steigende Preise für Neuwaren haben das Blatt gewendet. Konsum wird kritisch hinterfragt, Minimalisten (zu denen ich nicht gehöre) erobern den Diskurs. Weiterhin werden immer mehr Skandale rund um „Fast Fashion“ bekannt und wir Menschen aus lauter Überfluss zunehmend des ständigen Konsumierens müde.



Es mag noch viele „Shopaholics“ da draußen geben. Aber wahrscheinlich sind dort ebenso viele Zeitgenossen, die sich in der unendlichen Auswahl an Angeboten nicht mehr zurechtfinden und für die eine sofortige Wunscherfüllung per Klick auf den „Kaufen“-Button ihren Reiz längst verloren hat. Im Gegensatz zu einer Kaufhauskette hat der Besuch einer kleineren Boutique, aber noch mehr ein Gang über den Flohmarkt, die Anmutung eines kleinen Abenteuers. Man weiß vorher nie genau, welche Schätze man findet! Doch natürlich braucht das „Trödeln“ auf dem Trödelmarkt (online und „live“) Zeit und Toleranz für eventuelle Abweichungen von eigenen Vorstellungen. Dafür lernt man die Geschichte der Dinge kennen, die man erwirbt, und auch ein wenig die Menschen, die sie abgeben.


Mit jedem Teil, das ich gebraucht und in einem guten Zustand erwerbe, kann ich sagen: „Ich habe Geld gespart. Und kein Kind, keine Näherin in einem fernen Land musste noch zusätzlich für diesen Kauf für einen Hungerlohn arbeiten“. Natürlich bei der Erstproduktion für den Vorbesitzer, aber definitiv kein zweites Mal. Und es müssen nicht noch einmal neue Umweltressourcen verbraucht werden.



Es muss nicht immer neu sein!


Natürlich habe auch ich manchmal Dinge, die ich neu kaufe oder neu kaufen muss. Unterwäsche, Socken und Bademode zum Beispiel. Dennoch bestehen schätzungsweise 50 Prozent unseres gesamten Haushalts aus gebrauchten oder wiederverwendeten Dingen, die wir nicht gegen neue eintauschen möchten. Die Möbel in unserem Haus mögen zum größten Teil nicht fabrikneu sein, dafür haben sie eine Geschichte und Charakter. Wir haben auch nicht das Haus komplett an unsere Vorstellungen angepasst, sondern die Raumaufteilung und den Landhausstil akzeptiert und in unsere Wohngestaltung integriert. Das ist in einer Wegwerfgesellschaft nicht selbstverständlich.


Mein Mann geht sogar noch weiter als ich, die alte Kleidung als Lappen wiederverwendet oder in gutem Zustand weitergibt. Er repariert noch vieles, was kaputt ist – sei es ein Elektrogerät, ein Reißverschluss oder eben ein gebrauchtes Fahrrad mit einem Defekt. Dieses Talent für feine handwerkliche Dinge hat schon viele Umweltressourcen und Geld eingespart. Für manche Dinge, Socken und günstig erworbene Kleidung mit Löchern beispielsweise, rechnet sich dieser Aufwand jedoch nicht.


Mit gebrauchten, günstigen Dingen im Haushalt ist man mit zwei Kindern und zwei Katzen außerdem entspannter, wenn mal etwas kaputtgeht. Die Katze kratzt an den weißen Kunstlederstühlen, die wir einmal geschenkt gegen zwei Pfund Kaffee abholen durften? Ärgerlich, aber kein Weltuntergang. Das Handtuch wurde beim Haarefärben mit eingefärbt? Macht nichts, es ist eh schon diverse Jahre alt und eignet sich noch gut als Lappen. Kratzer, Sticker oder Gekritzel auf den Kindermöbeln? That’s life. Unsere Kinder sind nicht die erste Generation Kinder, die diese Möbel verwenden und auf ihre Art „verzieren“. Wenn die eigene Verschönerung des Mobiliars sie später stört, müssen sie sie es eben selbst putzen oder von Klebestickern befreien. Die Teller und Tassen aus unterschiedlichen Kontexten passen nicht immer zusammen? Dafür haben sie uns nichts gekostet und es darf auch mal etwas kaputtgehen.



Obwohl wirklich viele Dinge bei uns den Erinnerungswert mehrerer Generationen in sich tragen, wohnen wir nicht in einem Museum. Wer Tiere und kleine Kinder hat, sollte sich die Anschaffung exklusiver Bettwäsche, empfindlicher Hochglanzmöbel, nagelneuer Autos und Designervorhänge sowieso zweimal überlegen. Denn ein aktives Familienleben macht Dreck, hin und wieder hört man auch mal „Klirr“ oder „Schepper“ oder es entstehen Kratzer und Macken. So merkt man wenigstens, dass hier echte Menschen wohnen – und dass man sich nicht in ein Möbelhaus verlaufen hat. Umso besser, wenn man sich nicht ständig Gedanken um den Werteverlust teurer Möbel, Kleidung oder des „Krümelmobils“ (alias Familienkutsche) machen muss.


Eine Absage an Statussymbole


In stillen, nachdenklichen Momenten frage ich mich oft: Woran werde ich mich eigentlich erinnern, wenn ich diese Welt oder auch nur diesen Körper verlasse? Woran werden sich mein Partner, meine Familie, meine Kinder, meine Fellfreunde und meine menschlichen Freunde erinnern? Was möchte ich ihnen bis dahin mitgeben? Auch wenn Geld in einer kapitalistischen Gesellschaft durchaus einen hohen Stellenwert einnimmt, wenn man noch eine menschenwürdige Rente bekommen möchte, wird sich kaum jemand an Designerkleidung erinnern. Auch nicht an ein perfekt poliertes, teures Auto, ein geschminktes und faltenfreies Gesicht, eine „Traumfigur“, angesagten Schmuck und glänzend neue Möbel wie frisch aus der Fabrik.



Das alles ist bestenfalls eine Oberfläche, die wir im ersten Moment betrachten. Aber es ist nicht das, was einem Menschen ausmacht, wenn wir ihn besser kennenlernen und eine Beziehung zu ihm aufbauen wollen. Genau wie unsere Leben erzählen die Gegenstände, die wir verwenden, ihre eigenen Geschichten. Wir müssen nur richtig hinhören. Und eine Sache, die ich meinen Kindern hinterlassen möchte, ist auf jeden Fall eine Alltagswelt, in der weniger verschwendet und mehr nachhaltig genutzt wird. Denn das haben Natur und Mensch bitter nötig. Außerdem wird es nicht einfacher werden, an neue Waren heranzukommen – weder finanziell, noch in Hinblick auf verfügbare materielle Ressourcen zur Herstellung. Je eher Menschen den Tauschhandel und die Mehrfachnutzung von Gegenständen also voranbringen, umso besser! Meine Kinder lernen das übrigens schon durch Rocky von der Paw Patrol: „Nicht verschwenden, wiederverwenden!“.


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