Manchmal zeigt die Kompassnadel im Leben in die falsche Richtung, oder man hält den Kompass einfach falsch. Dann hilft es nur, den Kurs neu zu berechnen und die Nase in den frischen Wind zu halten. Neuanfänge können einem Angst machen, aber manchmal auch ein echter Befreiungsschlag sein. So wie die Abschied vom Schulleben nach einer jahrelangen "Irrfahrt" durch die Hölle der Mädchencliquen.
Wer das Lied "Au Revoir" von Mark Forster und auch das Video dazu kennt, wird gleich merken, dass dieses 1. viel später rauskam. als mutmaßlich meine Schulzeit endete und dass 2. meine Geschichte natürlich eine ganz andere ist als die des Mädchens im Originalvideo. Dennoch erinnert mich dieses Lied gerade an das Lebensgefühl nach dem Abitur, als ich den schwierigen Kapiteln "Schulgemeinschaft" und "Mädchencliquen" endlich den Rücken kehren (oder unfeiner ausgedrückt: den Stinkefinger zeigen) durfte.
Ich nehme euch mit zu meinem 19-jährigen jüngeren Ich. Diese ganzen "tollen" Abiturfeiern, die Zeugnisvergabe und ein ziemlich vermurkster Abiball liegen bereits einige Wochen hinter mir. Zum ersten Mal seit Jahren sehe ich nicht nur halb geöffnete Türen vor mir, sondern ein riesiges, offenes Tor mit einer Landschaft voller Möglichkeiten. Ich kann atmen, die "dicke Luft" durch schwelende Konflikte, alte Ängste, das Gefühl, für die anderen nie genug zu sein, ist wörtlich gesprochen vom Winde verweht.
Ich bin dankbar, jetzt ganz neu anfangen zu können - und genau das habe ich vor. "Vergesst, wer ich war", singt Mark Forster - und sie alle sollen die Person vergessen, die sie kannten. Das unsichere, ständig an sich zweifelnde Mädchen, die "graue Maus", das "Opfer, mit dem man es ja machen kann". Natürlich war auf der zweiten weiterführenden Schule nicht alles schlecht. Womöglich habe ich auch selbst unbewusst bei der Behauptung im neuen Umfeld einige Fehler gemacht, mich übermäßig angepasst, zu sehr die Anerkennung meiner Mitschüler gesucht und in Einzelsituationen vielleicht auch zu empfindlich und verletzt reagiert.
Davon spreche ich mich nicht frei - Verletzungen hinterlassen Wunden, und es braucht Zeit, diese verheilen zu lassen. Selbst dann, wenn man dies hinter einem Lächeln versteckt. Die Oberstufe war zumindest mittelmäßig - ich wusste, mit wem ich gut klarkam, zu wem ich neutral stand und wem ich besser aus dem Weg ging, sofern möglich. Dennoch - mein 19-jähriges Ich ist verdammt froh, hier endlich einen Schlussstrich zu ziehen.
Es geht nun - trotz nicht so berauschender Noten in Mathe und Naturwissenschaften und einem mittelmäßigen Abischnitt - in Riesenschritten in Richtung Uni. Fremdsprachen und Literaturwissenschaft sollen es werden, praktischerweise liegt auf diesen Fächern auch kein NC. International Business Studies hatte ich auch kurz in Betracht gezogen, dann aber wegen der Fokussierung auf Zahlen und Bilanzen doch wieder verworfen. Rückblickend hätte ich da ruhig ein wenig mutiger sein dürfen, denn heute weiß ich: Man kann vieles neu lernen und ein hoher Berg verliert an Schrecken, wenn man erst einmal den ersten Schritt getan hat.
Wir besuchen nun Unis, wälzen Studiengangbeschreibungen, schätzen ab, wie weit die Uni für mich von zu Hause entfernt sein darf. Denn so "ganz weg" von den Freunden, die ich immerhin habe, und von meinem damaligen Freund will ich auch nicht. Nebenbei gebe ich Nachhilfe, um etwas Geld zu verdienen, und bereite mich gründlich auf die Englisch-Einstufungstests vor, die an manchen Unis vor Studienantritt Pflicht sind.
Dabei erinnere ich mich an meinen Schulwechsel, für den ich, um ein Latinum erreichen zu können, Cäsars gesamte "Gallische Kriege" innerhalb von sechs Wochen Sommerferien durchackern musste. Immerhin musste ich vom "Latinum in drei Jahren" eben mal auf "Latein mit Schülern, die schon zwei Jahre länger Latein hatten" umsteigen. "Sie liest Cäsar wie Zeitung", steht deshalb in meiner Abizeitung - was eines der eher schmeichelhaften Dinge ist. Andere sind, durch das Auge des Subtilen zwischen den Zeilen betrachtet, weniger "freundlich". Und wenn man Cäsar "bezwungen" hat, bekommt man so einen Sprachtest sicher auch hin - alles Weitere wäre unlogisch.
Ich habe nun jedenfalls "große" Pläne, will den Bachelor absolvieren, vielleicht auch noch einen Master. In einen Buchverlag oder irgendein anderes Verlagsunternehmen einsteigen und dort mit den Dingen Geld verdienen, die mich seit jeher antreiben. Zwischendurch genieße ich die neu gewonnene Freiheit vom "Schulhamsterrad" und fahre mit meinen Freundinnen in die Disco, ins Freibad, ins Kino. Und ich weiß: "Es wird nichts mehr sein, wie es war." Au revoir, Schulzeit - bonjour, Zukunft!
Ich verlasse diese falsche Reiseroute, auf der ich wenige echte Verbündete, einige falsche Verbündete und ebenso viele erbitterte Gegner vorgefunden habe. Schaue kurz zurück auf diesen Hafen, der niemals sicher für mich war. Berechne den Kurs neu, setze die Kapitänsmütze wieder auf, die ich zu lange habe verstauben lassen - "Ich komm' nie zurück zu mir". Dann atme ich einmal den frischen Wind ein, lasse allen Groll und alle Wut gehen, erst einmal. Was für den Moment bleibt, sind Erleichterung und Dankbarkeit, dass ich das ganze Elend der letzten Jahre hinter mir lassen und aus all diesen Erfahrungen lernen kann. Aber auch die Vorfreude auf alles, was mein Leben nun besser machen wird, auf eine neue Route. Blick durchs Fernrohr, Segel setzen, neuer Kurs.
Was war bis jetzt euer wichtigster Neuanfang, der eurem Leben definitiv eine neue Richtung gegeben hat? Egal auf welcher Route ihr jetzt gerade segelt - ich wünsche jedem und jeder von euch günstige Winde!
Eure Cat
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