top of page
the_writing_cat

Alles in Ordnung?

Ich geb’s zu – ich habe das Falten von Unterhosen in der Schublade nicht gerade erfunden. Ach Moment, laut Marie Kondo sollte man die aus Platzspargründen doch eher rollen und einsortieren … oder? Dafür sind kleine Falten in meiner Wäsche, Barbies im Badezimmer und hin und wieder veraltete Dokumente in der Schreibtischablage für mich irgendwie Alltag. Bei so viel Ordnung und Sauberkeit in den sozialen Medien und der Hingabe einiger (kinderloser) Freundinnen zur KonMari-Methode gibt mir das zu denken. Bin ich nun eigentlich eine totale Vollchaotin oder ist es sogar ein wenig normal, dass man hin und wieder einfach von der Flut an Werbebriefen, Wäschekörben und Playmobil-Kleinteilen mitgerissen wird?


Wenn ich meinen Instagram-Feed öffne, wirbt inzwischen jeder dritte Beitrag, den ich dort sehe, für noch effizientere, ultimative Tipps gegen das Chaos im eigenen Zuhause. Wobei, scheint es nur mir so, dass sich diese „Chaos-Killer“ im Grunde nur wiederholen? Dass man mehr Platz hat, wenn man öfter mal nicht gebrauchte Dinge aussortiert, weniger Geschirr herumsteht, wenn man die Spülmaschine sofort ausräumt, Labels auf Boxen Orientierung schaffen und ein Kleiderschrank mit einen Ordnungssystem übersichtlicher wird, war nun schon vor Marie Kondo und all den anderen Ordnungsprofis im Netz kein Geheimnis. Nun versteht mich nicht falsch … Bei uns im Haus gibt es auch eine Grundordnung, die meisten Dinge, allen voran Schlüssel, Schuhe, Jacken und Handys haben ihren festen Platz. Oder höchstens eine oder zwei alternative Plätze. Wasch- und Spülmaschinen werden bei Bedarf am Tag sogar mehrmals umgeräumt, unterschiedliche Tellergrößen stehen getrennt und die Spielzeugboxen in Feechens Zimmer sind mit Bilderlabels versehen.





Dennoch: Wenn ich mal wieder irgendeinen Beitrag im Newsfeed oder auf Instagram über die „perfekt aufgeräumte Wohnung in 15 Minuten“ sehe, komme ich mir doch ein wenig … unzulänglich vor. Denn Aufräumen in einem mehrstöckigen Haus mit zwei Kindern und zwei Katzen gleicht dann doch eher der Fahrt durch ein Sturmauge als einem seicht und harmonisch plätschernden Binnengewässer. Eine Ecke vom Chaos befreit, könnte man bei der nächsten gleich neu anfangen. Wohlgemerkt, könnte – denn Kinder, Katzen, Lohnarbeit und andere Verpflichtungen sind schließlich auch irgendwann dran.


Mamamorphose: Bye-bye, kreatives Chaos!


Hätte man meinem „Studenten-Ich“ in frühen WG-Tagen erzählt, dass es sich mal über kleine Flecken auf den Fliesen und ein paar Kuchenkrümel auf der Küchenanrichte ärgern würde, hätte es vermutlich laut gelacht. Denn damals war ich – abseits meiner strukturierten digitalen Lernordner auf dem Laptop und meines Zeitplans für Seminararbeiten – noch eine ziemlich kreative Chaotin. Und ich habe immer mit Menschen zusammengelebt, die auch nur „durchschnittlich ordentlich“ oder gar selbst ein wenig chaotisch waren.


Das Verhältnis zur Ordnung veränderte sich, als ich schließlich mit meinem Freund (heute: Ehemann) zusammenzog. Jeder muss Kompromisse eingehen – wenn man sich nicht ständig anzicken will. Wir einigten uns also so: Jeder kann seinen Bereich so gestalten, wie er möchte – die gemeinschaftlichen Räume werden aber in Ordnung und so sauber wie möglich gehalten. Eben wie in einer WG, nur ein wenig „näher“. Unsere beiden Herzenskatzen zogen ein und jede Menge Zeug sammelte sich an. Eine Zeit lang lebten wir unter der Woche „getrennt“- aber nur, weil ich ein Volontariat weiter weg absolvierte.





Wir heirateten, Feechen kam dazu – und damit eine Person mehr, die uns zu einer neuen Raumaufteilung bewegte und mein bisher komplett eigenes Arbeitszimmer mit Wohnzimmernische in einen Multifunktionsraum verwandelte. So richtig ordentlich war ich dennoch noch nicht –vielleicht werde ich es auch niemals sein. Am meisten vermisste ich Privatsphäre und „eine Tür zum Zumachen“. Aber erst einmal waren andere Dinge dran. Durch das Babyjahr kommen zum Beispiel … einen neuen Job suchen, nachdem mein Vertrag nach dem Mutterschutz nicht verlängert worden war. Neuen Job anfangen, nach einem Jahr wieder suchen wegen betriebsbedingter Kündigung.


Eingewöhnungen, erste Suche nach einem Eigenheim … Weiterbildung, Neustart in der Familienfirma … Mit dem Versterben der Schwiegeroma klarkommen und mit der auswärtigen Verwandtschaft in Verbindung treten, um das Stadthaus in ihrem Sinn weiterzuführen, als „junge Generation“. Hat nicht geklappt, aus Gründen … aber nun suchten wir wirklich was Neues. Fanden es und begannen zu renovieren. Kurz: In unserem Leben regierte das Unstete, ein gewisses latentes Chaos. Wie sollte es in unserer Wohnung bei so viel Improvisation perfekt ordentlich aussehen? Und als sich mir die nächsten ernsthaften Chancen boten, wieder Vollzeit bei anderen Firmen durchzustarten … hielt ich mitten in der Corona-Pandemie den zweiten entscheidenden Test in der Hand. Positiv – und kein Coronatest.


Von nun an spielte sich unser Leben zwischen Schwangerschaft, Baurenovierung, Homeoffice und hin und wieder einem Wochenendausflug ab. Wer Baustellen kennt, weiß: Schöner wohnen geht anders. Und kurz nachdem Kobold im Rekordtempo auf die Welt gestürmt kam, saßen wir zwischen Umzugskisten. Von meinen etwas kuriosen Schwangerschaften hatte ich ja schon einmal kurz im Artikel über den „After-Baby-Bullshit“ berichtet.






Im neuen Haus sollte alles wieder anders werden. Strukturierter, räumlich getrennt und in der Tat …ordentlicher. Deswegen achteten wir schon bei den Umzugskisten auf eine sehr detaillierte Beschriftung. Bis wir aber wirklich alles komplett „an Ort und Stelle“ hatten, dauerte es noch Monate. Für eigenes „kreatives Chaos“ blieb sowohl zeitlich als auch räumlich nun kaum Gelegenheit. Die „große Renovierungsschlacht“ war gewonnen, aber es warteten noch diverse kleinere „Kampfplätze“. Die Abdichtung der Garage zum Beispiel, einige Feinarbeiten am Balkon, die Fertigstellung der Solarthermieanlage, das Einsetzen von Regenwassertanks im Boden. Man darf sagen: Unser Garten wird wahrscheinlich erst diesen Sommer oder Herbst wirklich nach so etwas wie einem „Garten“ aussehen, in dem auch Rasen wächst und Spielgeräte stehen. Drinnen herrschte aber zumindest wieder so etwas wie eine Grundordnung. Frei nach Schneemann Olaf: „Wir kontrollieren, was wir können, auch wenn alles außer Kontrolle ist!“.


Das perfekt geregelte Leben als „Mikro-Weltherrschaft“


In einem Kernpunkt hat Olaf sogar Recht: Rituale schaffen einen Eindruck von Klarheit, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit in einer Welt, die nüchtern betrachtet zunehmend aus den Fugen gerät. Frei nach dem Motto: Wenn die Welt untergeht und der Himmel uns auf den Kopf fällt, habe ich zumindest noch meine Lieblingssendung, jeden Samstag Pasta mit Tomatensauce und eine aufgeräumte Wohnung als Rückzugsort. Minimalistisch und farblich harmonisch eingerichtet natürlich, mit sauberen, glatten Oberflächen ohne viel „Klimbim“ und „Kram“ – typisch Hygge eben. Sauberkeit, Ordnung, Tradition, Verlässlichkeit – diese gelebte und „gewohnte“ Wertekonstellation hätte Klischees zufolge von Deutschen „erfunden“ werden können. Da überrascht es wahrscheinlich zu hören, dass die weltbekannte KonMari-Methode und ihre Grundsätze ursprünglich wie ihre Repräsentantin aus Japan stammen.


Ob in Japan, in Deutschland oder sonst wo in den krisengeschüttelten Industrienationen dieser Welt – Minimalismus ist der neue Reichtum, „clean“ ist der neue Wohn- und Lebensstil der Trendsetter. Ordnungscoaches sind die neuen Weltretter- zumindest auf TikTok und Instagram. „Tradwives“ und „Stay at Home Girlfriends“ bzw. „Stay at Home Boyfriends (oder Husbands oder Dads“) bringen ein Stück Tradition und Nostalgie in eine äußerst komplizierte, chaotische Welt zurück. Das naive Vertrauen darin, dass irgendwann ein Gehalt wieder komplett für den Wohlstand einer Familie reichen wird. Spoiler: In Realität gehen die wenigsten Wirtschaftswissenschaftler davon aus, dass dieser utopische Fall jemals wieder eintreten wird. Ebenso wie stark traditionalistische Influencerinnen und Influencer Zeiten romantisieren, die für Frauen ziemlich „rechtlos“ und „unfrei“ waren. Und dabei geflissentlich übersehen, dass in Deutschland inzwischen jede dritte Ehe geschieden wird. Aber möglicherweise reicht das Instagram-Einkommen in diesem Fall ja aus, um keine Altersarmut zu riskieren? Ich weiß es nicht – bin keine Wirtschaftswissenschaftlerin.





Traditionelle, abgegrenzte Rollenbilder scheinen allerdings auch heute noch eine große Faszination auf diejenigen auszuüben, die sich ein überschaubares, möglichst sorgenfreies Leben wünschen und in einer sehr komplexen Gesellschaft die eigene Identität unter vielen nicht mehr finden. Wenn ich ehrlich bin, kann ich das sogar ein Stück weit nachvollziehen – wenngleich ich als studierte Kulturwissenschaftlerin natürlich die Diversität, Freiheit und Offenheit „von heute“ viel interessanter und zukunftsfähiger finde.


Im Spiegelkabinett der Illusionen


„My home is my castle!“ und „Mein Haus, meine Regeln“- wer sein eigenes Leben daheim und im persönlichen Umfeld voll im Griff hat, bekommt einen wohltuenden Eindruck von Sicherheit, Übersicht und Kontrolle. Außerdem erfahren Menschen, die sich selbst und ihre (Lebens-)Umgebung genau durchstrukturieren und nur ihre „ordentliche“ Seite zeigen, mehr soziale Anerkennung und Vertrauen von anderen Menschen als jene, bei denen zumindest hin und wieder das Chaos herrscht. Letztere hinterlassen oft einen „schlechten Eindruck“, gelten nicht als Vorbilder z.B. für Kinder, sondern eher als unbequem und „schwierig“. Selbstorganisation und Ordnungsliebe sind in der aktuellen Entwicklungsdiagnostik bereits bei Kindern Gradmesser dafür, wie „gesellschaftsfähig“ sie sind und wie sie später in einer komplett rationalisierten, schnelllebigen und eng getakteten Erwachsenenwelt zurechtkommen werden.


Dabei sind sehr viele der großen Herausforderungen, die auf die Menschheit zurollen, eben schwierig bis gar nicht kontrollierbar. Die Bücher im Regal können farblich passend geordnet sein, es liegt kaum ein Staubkorn auf der Küchenablage, die Kleidung ist komplett faltenfrei und die Frisur sitzt perfekt. „Ungesunde“ Lebensmittel werden aus der Ernährung verbannt, überschüssiges Fett vom Körper. Selbst wenn alle Wohnungen und menschlichen Bewohner dieser Welt ihre perfekte Fassade zeigen könnten… All diese Faktoren werden de facto die Weltbevölkerung nicht vor globalen Krisen wie Klimawandel, Krieg um Ressourcen, Inflation mit Rezession, Überbevölkerung, Artensterben, Verknappung von Ressourcen jeder Art und Extremismus retten.





Hier braucht es andere,kollektive Lösungen, die über den Hygge-Tellerrand, #thatgirl/#thatboy-Aktionismus und ein perfekt aufgeräumtes Privatleben hinausgehen. Kurz gesagt: Menschen müssen (wieder) lernen, Chaos und Ungewissheit auszuhalten und immer wieder neue Strategien entwerfen. Change Managementeben – und ich gebe zu, als typischer „Gewohnheitsfreak“ und Sicherheitsjunkie fällt mir das auch verdammt schwer. Denn Chaos und Ordnung sind seit jeher Archetypen, in deren Spannungsfeld wir uns bewegen.


Irgendwo zwischen Papierstapeln und gerollten Unterhosen


Aber wenn beide Pole – Chaos und Ordnung – das menschliche Leben theoretisch zu gleichen Teilen bestimmen, wie viel Ordnung muss denn nun sein? Oder beherrschen gar chaotische Genies eine sich ewig wandelnde Lebenswelt sogar viel souveräner? Um eines vorab klarzustellen: Das in den Medien oft sehr reißerisch dargestellte „Messiehaus“ und Instagram-Tipps von Marie Kondo und anderen professionellen „Aufräumern“ sind Extrempole. Die meisten Menschen bewegen sich „irgendwo dazwischen“, in einer Grauzone. Mit scheinbar glatten Oberflächen, aber versteckten „Gerümpelecken“ und Kramschubladen. Mit einem auf den ersten Blick geschmackvoll arrangierten, aufgeräumten Schlafzimmer, solange man nicht den Kleiderschrank oder gar den Bettwäscheschrank öffnet und wirklich unter die Lupe nimmt. Oder – Himmel bewahre – den Bettkasten mit überzähligen Federbetten, Kissen und Wolldecken. Mit sauber glänzenden Fliesenböden, aber einer Menge Staub hinter Schranktüren und auf oberen Regalbrettern. Mit einer halbwegs aufgeräumten Wohnung, man werfe aber bitte keinen genauen Blick in den „Wäsche-Hades“ und in die „Bastlerstube“.


Auch zeitlich sind die meisten von uns zwar durchschnittlich eher pünktlich, zuverlässig getaktet und gut organisiert. Doch selbst denen, die normalerweise wie ein Uhrwerk funktionieren“ passieren hin und wieder Pannen. Verzögerungen im Verkehr (ob Stau oder Gleisstörung), Mitmenschen und Situationen, die unerwartet dazwischen platzen und einem die ganze Tages- und Wochenplanung zerschlagen können. Gruppenschließungen in der Kita zum Beispiel, ein plötzlicher Krankheitsfall, eine unerwartet lange Kassenschlange in der Drogerie oder Technik, die nicht begeistert, sondern aus aus unerfindlichen Gründen aus dem Nichts den Geist aufgibt. Und so sehr man sich über solche mehr oder minder hinderlichen Stolpersteine aufregen kann – auch das ist irgendwie normal.





Die Annahme, Ordnung, Struktur und Organisationstalent spielten dann eh keine Rolle, wäre dennoch zu kurz gedacht. Denn wenngleich zuverlässige Strukturen und Routinen nicht zwingend allein die Welt retten, erleichtern sie uns doch vieles und halten den Kopf frei für entscheidende Fragen im Leben. Hin und wieder seine Kalender, den Kleiderschrank, die Nummernliste im Smartphone, den E-Mail-Account und den persönlichen Spielzeugladen der Kinder zu entrümpeln, schafft nicht nur Platz für Neues, sondern befreit auch die Seele von altem Ballast. Außerdem haben gut organisierte Menschen häufig auch einen Plan B oder C im Kopf, um Murphys Gesetz zu umgehen – wenn sie sich denn auf Änderungen einlassen können. Dann ist das Leben zwar nicht so perfekt, wie es manche Coaches und Influencer zeigen – doch es ist zumindest alles in Ordnung.


Heute, als ich zum dritten Mal die Böden wieder für die Saugroboter freiräumte, hörte ich das Lachen der Kinder und kehrte kurz in meine eigene Kindheit, Jugend und Studentenzeit zurück. Eine Zeit, in der glänzende Böden, die immer gleichen Vorbereitungen für einen neuen Morgen mit Schule und Kita und ordentlich arrangierte Sofakissen noch keine so große Rolle spielten. Eine Zeit, in der ich sowieso mehr weg als zu Hause war, irgendwo unterwegs mit anderen Menschen. Und ich spürte deutlich: Aus mir wird in diesem Leben kein perfekter Ordnungsliebhaber mehr. Denn ohne ein bisschen kreatives Chaos – und sei es nur dort, wo es niemand sieht – wäre ich schlicht ein anderer Mensch. Irgendwer, nur eben nicht ich. Und manchmal habe ich diese ganz leise, schüchterne Stimme in mir, die sagt, dass sie dieses ständige Streben nach Ordnung, Sauberkeit und Struktur doch etwas stresst. Und den heimlichen Wunsch, hin und wieder doch wieder ein wenig chaotisch sein zu "dürfen" - auch wenn dies natürlich nicht als sehr vorbildlich und "erwachsen" gilt.





Nun bin ich neugierig: Wie ordentlich beziehungsweise chaotisch schätzt ihr euch ein? In welchen Bereichen achtet ihr sehr auf Ordnung, Sauberkeit und Organisation - und welche Dinge nickt ihr eher einfach ab und denkt: „Ist halt so“? Wo und wann stört euch ein bisschen Chaos und was findet ihr dabei noch „normal“? Machen euch Aufräumen, Entrümpeln, Putzen und Organisieren Freude oder seht ihr das eher als lästige Zeitfresser?


Liebe Grüße

Eure Cat

8 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page