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"Das brauchst du eh nie wieder!"

Wenn wir uns an unsere Schulzeit erinnern, hat sicher jede(r) von uns ein Schulfach, das er oder sie am liebsten am ersten Tag schon abgewählt hätte. Auch manche Fähigkeiten und Erkenntnisse aus dem Alltagsleben und aus Krisenmomenten lernen wir erst schätzen, wenn sie unvermittelt dann doch einmal wieder nützlich werden. Minimalismus findet längst nicht mehr nur in Wohnungen, sondern auch im Sektor "Wissen und Erfahrungen" statt. Dabei wäre das gar nicht nötig. Schließlich hat der menschliche Geist theoretisch keine räumliche Begrenzung.




Momentan habe ich ziemlich viel „Holz vor der Hütt’n“. Nein, nicht das, was manch fantasievoller Leser (m/w/d) sich vielleicht darunter vorstellen will … Wir HEIZEN tatsächlich damit, und das fast ausschließlich. Also hieß es heute wieder: Holzwannen füllen und in mehreren handlichen Portionen vom unteren Hanggarten in den oberen transportieren, während das Kleinkind schläft. Ja, Kitagruppenschließung ist auch noch dran … da kommt Freude auf. Während ich zwei Big-Bags voller Kleinholz nach und nach in die „obere Outdoor-Etage“ verfrachtete, dachte ich an einen alten Glaubenssatz. Einen, den ich ausschließlich von meinem weiblichen Umfeld gehört hatte, über Jahre: „Du brauchst keine Armmuskeln, du bist eine Frau.“


Ha, denkste, schoss es mir durch den Kopf, als eine Wanne nach der anderen den Weg nach oben fand. Ich ärgere mich eh schon, wenn ich für die Lasten, die mein Mann mit einem Gang über unser Hanggrundstück trägt, grundsätzlich zwei Gänge brauche. Hätte ich aber gar keine Kraft, bräuchte ich vier Gänge pro Last. Ziemlich aufwendig. Zumindest brachte mir diese repetitive Tätigkeit Zeit für eine kleine Rückschau – und einige Erkenntnisse. Tatsächlich konzentrieren sich viele Sportkurse „für Frauen“ auf die BBP-Straffung – oder auch: „Bauch-Beine-Po“. Im Fitnessstudio wurde mir damals geraten, zum Abnehmen mehr Cardio- als Krafttraining zu betreiben, denn „Muskeln sind schwerer als Fett“. Ich entschied mich letztendlich für eine 50/50-Mischung – das fühlte sich richtig an. Dennoch mied ich die Maschinen für Bizeps- und Trizepsübungen meist und die Hantelecke erst recht. Das hielt ich für „Männerrevier“. Ein ziemlicher Blödsinn aus heutiger Sicht. Schließlich sind nicht alle Hanteln gleich schwer.




Starke Frauen sind gefragt!


Als Jugendliche habe ich mich komischerweise nie so darum geschert, was „frau“ denn machen darf und was nicht. Ich trug Wasserkisten mit ins Haus, weil meine Mutter und Oma das mit ihrem Rücken zu der Zeit nicht konnten. Ließ man mir die Wahl, half ich lieber beim Holz zerkleinern als beim Staubputzen. Letzteres ist eine Fisselarbeit, die ich bis heute noch fast so sehr hasse wie Bügeln. Nach dem Spiel „Jungs packen Mädchen, Mädchen packen Jungs!“ in der Unterstufe kam ich manchmal mit angerissenen T-Shirts nach Hause, da ich es nicht einsah, mich von den schmächtigeren Jungen in unserer Klasse widerstandslos ins Gefängnis abführen zu lassen. 5 Jungen gegen ein sehr wehrhaftes Mädchen – das muss für Außenstehende ziemlich witzig ausgesehen haben. Auch mein Kampfsporttrainer verlangte von den Frauen im Kurs – je nach Möglichkeit – den gleichen Einsatz an Matte und Pranke wie von den Männern. Einzige Ausnahme: die Erlaubnis, beim Aufwärmen „Damenliegestütze“ zu machen.


Gebraucht habe ich die Muskeln, die ich zeitweise „als Frau“ für überflüssig hielt, noch öfter. Koffer können schwer sein, quengelnde oder eingeschlafene Kinder auch. Auch Renovierung und Umzug forderten eine Menge Einsatz. Mein Mann und ich füllten einmal zwei Schuttmulden im Alleingang. Und der schwerste Bohrhammer, den ich je in der Hand hatte, war ein Straßenbaumonstrum mit ca. 30 kg Eigengewicht. Passenderweise tauften wir ihn „Dicker Bello“. Die Betumbahnen vom Schuppendach, die Helfer vor Feierabend nur notdürftig an die Seite geschoben haben, räumte ich schließlich an ihren Platz. Ziemlich schweres Zeug. Wenn mein Mann dann Bilder an die Verwandten und Helfer postete mit Titeln wie „Frauen an den Bohrhammer!“ und „Sie hat’s für dich weggeräumt, du Faulpelz ;)“, sorgte dies teilweise für Kopfschütteln, Schmunzeln und Erstaunen. Unser polnischer Freund und Fliesenleger klopfte mir auf die Schulter, als ich mit einer Kettensäge Holz zerlegte. „Na, du bist ja eine echte Kämpferin“, bemerkte er. Das kann man von einem Vollbluthandwerker als großes Kompliment werten. Den Respekt der Männer bekam ich dafür in jedem Fall – einer unserer Helfer begrüßte mich immer liebevoll mit: „Na Chefin, alles fit?“. Insgesamt wunderte ich mich, dass weibliche Mitarbeit am Bau noch immer als so etwas Abseitiges betrachtet wird.




Auch unser Gehirn braucht Training!


Ich erzähle das nicht, um anzugeben. Für mich waren und sind all diese Dinge oft lästige Notwendigkeiten, die mich teilweise von meinem normalen Job und meiner Leidenschaft fürs Schreiben abhalten. Es sind nur die perfekten Beispiele für die negativen Glaubenssätze: „Als X kann ich Y nicht“ und „Die Fähigkeit Z habe ich nie gehabt und brauche sie eh nie wieder“. Ein paar mehr Beispiele: Ich ging nach meinen schlechten Abiturnoten in Mathe und Naturwissenschaften davon aus, dass ich das eh nicht kann und auch nie wieder brauche. Kurz darauf erweckte unter anderem der Studiengang „International Business Studies“ mein Interesse. Doch ich wählte einen rein sprachlich orientierten Zwei-Fach-Bachelor. Etwas, von dem ich WUSSTE, dass ich gut darin bin und dass ich es schaffen würde. Versteht mich nicht falsch – es ist immer gut, einen Fokus zu haben. Heute denke ich aber, ich hätte mir damals ruhig mehr zutrauen dürfen. IBS studieren, gerade UM mein gestörtes Verhältnis zu Zahlen und Berechnungen in normale Bahnen zu lenken. Ein Auslandssemester absolvieren, auch wenn ich dort niemanden kannte.


Erst letztes Jahr hatte ich eine weitere große Hürde, die es zu überwinden galt. Nämlich die Aufgabe, alle Texte, Videos und Contentkonzepte für die neue Firmenwebsite nach und nach in ein stimmiges Design zu überführen. „Webdesign… Shit, muss ich da programmieren?“, dachte ich und hatte Angst, alles zu versauen. Doch dann entdeckte ich einen tollen Pagebuilder und setzte mich mit Wordpress-Themes und Plugins auseinander. Die Jungs richteten mir eine „Sandbox“, also einen Seitendummy zur freien Gestaltung, auf dem Server ein. So konnte ich mich dann in Ruhe, in meinem Tempo und mithilfe von Youtube-Tutorials zumindest mit Webdesign ohne Codes auseinandersetzen, bevor ich die Ergebnisse meiner Versuche auf die „echte“ Website übertrug. Diese ist auch heute noch nicht perfekt, aber ich arbeite kontinuierlich daran. Irgendetwas gibt’s schließlich immer zu tun.




Unser Gehirn, der Opportunist


Das Problem bei Glaubenssätzen, die gegen alles „Unbekannte“ sprechen, liegt womöglich in unserer evolutionären Denkstruktur selbst. Das Kleinhirn, das vor allem für Gefühle und Sinnliches „zuständig“ ist, schüttet bevorzugt in Erfolgssituationen Botenstoffe aus, die Glücksgefühle erzeugen. Und wenn wir stolz, fröhlich, glücklich sind, wollen wir natürlich mehr davon! Dinge und Situationen, die eher mit Misserfolg und Unangenehmem in Verbindung stehen, wandern hingehen eher in die „Bitte seinlassen“- Schublade. Und auch wenn das Großhirn, das eher auf „nüchternere“ Faktoren wie ZDF (Zahlen, Daten, Fakten) anspringt, legt das Kleinhirn das ursprüngliche Mindset fest, mit dem wir an „unbekannte“ und damit „unsichere“ Entwicklungen herangehen. Das unbewusste Mindset, sich auf bekannte, bewährte Strategien zu verlassen und alles, was mit potenziellem Misserfolg behaftet ist, auszuschließen, erfüllt zwei früher einmal lebenswichtige Hauptfunktionen.


Effizienz und schnelle Lösungen durch Wiederholung.


Früher wie heute mussten im Zweifel schnelle Entscheidungen auf der Basis hieb- und stichfester Lösungsansätze getroffen werden. Die frühen Menschen mussten innerhalb von Sekunden entscheiden, wie sie Raubtiere abwehren, ein Mammut erlegen, ohne von diesem zertrampelt zu werden und die richtigen Pflanzen auswählten, die „bekannt“ und damit bekömmlich waren. Funktionierte dieses Prinzip nicht und dachten Menschen zu lange über ihre Entscheidungen nach, konnte dies im Zweifel tödlich enden. Vergleichbar wäre dieses Szenario heute mit dem Überqueren einer befahrenen Straße oder von Bahngleisen, wenn sich bereits ein Zug in Sichtweite befindet. Aber auch mit einem Notarzteinsatz im Bereich Erste Hilfe.


Routinen und mentale Trampelpfade für einen gesicherten, funktionierenden Alltag und eine positive Selbstwahrnehmung.


Der Spruch „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier!“ kommt nicht von ungefähr. Mal ehrlich – würden wir jeden Schritt, jeden Bissen, jedes Wort und jede Handlung in unseremLeben und Umfeld hinterfragen, verbrächten wir den Tag mit Grübeln und kämen zu nichts. Außerdem sind wir auf konstante, erfolgsorientierte Glaubenssätze („Ich bin sehr gut in X. Da macht es nichts, keine Ahnung von Y zu haben.“) angewiesen, um uns selbst im Vergleich mit anderen positiv wahrzunehmen. Nicht umsonst lautet einsehr üblicher Coaching-Ratschlag, sich voll auf seine Erfolge und Stärken zu besinnen, um Misserfolge zu überwinden und an seinen Schwächen zu arbeiten. Unsere „Firmware“ ist nämlich nicht nur opportunistisch („Wie überlebe und gewinne ich am ehesten?“), sondern zugleich sehr pragmatisch („Brauche ich dieses Wissen oder kann das weg?“) programmiert. Einfach, damit sie möglichst reibungslos bei begrenztem „Speicherplatz“ funktioniert. Selbst Marie Kondo könnte von dem peniblen Sortiersystem, das täglich in unserem Gehirn aktiviert wird, wahrscheinlich noch etwas lernen.




Je älter, desto gefestigter


Man kann festhalten: Unser Fühlen, Denken und Handeln orientiert sich zunehmend an „Trampelpfaden“, je öfter wir dies unbewusst wiederholen. Oder aber auch: bestimmte Erkenntnisse, Eindrücke und Information als „nicht relevant“ einordnen und links liegen lassen. Eben die typische Fragestellung: „Was geht mich das an – nützt mir das bei der Lösung aktueller Problemstellungen?“ Nicht alle Informationen in sich aufzusaugen wie ein Schwamm ist gerade in unserer heutigen, schnelllebigen und digitalen Zeit kein Versagen – es ist ein wirksamer Selbstschutzmechanismus, damit unsere Festplatte nicht heiß läuft und abstürzt. Und je öfter wir manche Strategien als „erfolgreich“ und andere als „gefährlich“/ „nicht erfolgreich“ identifizieren, desto eher orientieren wir uns an den „erfolgreichen“ Mindsets. Alles, was keinen Erfolg, kein Glück verspricht, mag unser Belohnungszentrum nicht. Egal, wie vielversprechend ein Vorhaben auf rationaler Ebene erscheinen mag.


Unser Betriebssystem ist – zumindest bei den meisten Menschen – mehr auf praktischen Nutzen als auf innovative theoretische Weiterentwicklung programmiert. Diese Tendenz verstärkt sich mit dem Alter, sodass gewisse Bereiche und Verbindungen in der Routine des Lebens zeitweise oder dauerhaft „abgeschaltet“ werden. Ein guter Vergleich wäre hier der „Energiesparmodus“, in dem die notwendigen Funktionen eines Gerätes aufrechterhalten werden, während der Computer auf „gerade nicht notwendige“ Sektoren zeitweise nicht zurückgreift. Dementsprechend entstehen „Leerstellen“, die, wie auf einer Festplatte auch, entweder inaktiv bleiben oder mit neuem, temporär relevanterem Inhalt überschrieben werden. Man nennt dieses Phänomen auf das Gehirn bezogen auch „stille Synapsen“.




Zum Lernen ist es nie zu spät…


Man kann und darf natürlich die meiste Zeit über mit dem zufrieden sein, was man kann und was man erreicht hat. Es ist auch nicht notwendig oder möglich, jedes Wissen, jede Information und jede einmal erlernte Fähigkeit „abzuspeichern“. Dennoch lohnt es sich, hin und wieder die „stillen Vertreter“ unter den Synapsen aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken und ihnen mit neuen oder wiederentdeckten Erkenntnissen neue Aufgaben zuzuweisen. Ein positives Beispiel: Meine Großmutter hat im Rentenalter noch ein wenig Englisch gelernt und ist mit über 80 Jahren meistens sehr sicher im Umgang mit dem Smartphone. Das würde man von einer älteren Dame kaum erwarten, oder? Andersherum könnte sie mir auch eine Menge beibringen – wie man Obst und Marmelade einkocht, zum Beispiel. Oder wie man ihren wundervollen Pflaumenkuchen backt. Leider konnte ich mich zu diesen Challenges bisher noch nicht aufraffen. Aber was nicht ist …


Niemand zwingt uns, all unsere geliebten Alltagsgewohnheiten abzulegen und uns krampfhaft Wissen anzueignen, das uns gar nicht interessiert. Aber wirft man auf dem festgetretenen Trampelpfad oder gar dem asphaltieren Bürgersteig manchmal einen genaueren Blick nach rechts und links, bleibt stehen und schaut sich etwas Interessantes genauer an, lernt man lebenslang etwas Neues. Übrigens – gelingt ein neues Projekt, freut sich auch unser Belohnungszentrum und wird bald nach Wiederholung rufen.





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