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Elsa und Anna – Brücken statt Mauern

Aktualisiert: 5. Feb. 2023

Für meinen letzten Gastbeitrag über „Die Eiskönigin – Total unverfroren!“ habe ich das Setting in eine moderne, kapitalistische Geschäftswelt übertragen. So ließ sich die Überwindung eines Kindheitstraumas der beiden Protagonistinnen am einfachsten beschreiben. In der Story von „Frozen 2“ geht es psychologisch hochinteressant und natürlich sehr gefühlsgewaltig weiter. Aber hinter opulenten Bildern, Ohrwürmern, Magie und emotionalen Momenten verbirgt sich eine Menge mehr.


„Frozen 2“ begrüßt die Zuschauer schon wie der erste Film mit einer Rückblende in Elsas und Annas Kindheit, in der Vater und Mutter ihnen von einem verzauberten Wald im ewigen Nebel und dem allwissenden Fluss Ahtohallan erzählen. Alles in Verbindung mit einer Schlacht gegen das Nachbarvolk, die Northuldra („Volk der Sonne“), welche die Naturgeister über die Maßen wütend machte. Dann ein Sprung in die "Gegenwart" des Films, zum Startpunkt der eigentlichen Handlung. Nachdem eine „feindliche Übernahme“ Arendelles durch einen listigen Prinzen aus dem Süden des Reiches abgewendet wurde und das Volk Elsas Besonderheiten (für diese) überraschend positiv aufgenommen hat, sollten doch erst einmal alle glücklich und zufrieden sein – oder?




Kurzer Spoiler: Die meisten sind es, aber Elsa hört immer wieder einen Ruf aus der Ferne. Sie fühlt sich als magisch begabte Königin in einem Land, in dem sonst niemand diese Kunst beherrscht, außerdem beizeiten tief im Inneren wie eine „Fehlbesetzung“ und fürchtet sich davor, ihrer neuen Rolle so nicht gerecht zu werden. Was tut mal also in einem solchen Fall? Weiter im „Status Quo“ verharren und sich mit dem „zufrieden geben“, was man hat, obwohl mandadurch nicht sein ganzes Wesen entfalten kann? Oder aber der inneren Stimme folgen, die einem den Weg zu seinem eigenen „inneren Kern“, zu Ursprung und neuen Zielen, führen könnte? Nachdem die junge Königin lange versucht hat, ihre Intuition auszublenden, siegen am Ende der Mut zum Neuen und die Neugierde. Womit sie allerdings unabsichtlich einmal mehr eine Lawine unvorhergesehener Ereignisse ins Rollen bringt.




Eine turbulente Reise zum eigenen Sein


Wenn Elsa, Anna, Kristoff, Sven und Olaf zusammen losziehen, um ein Rätsel oder Problem zu lösen, ist Action vorprogrammiert. Denn um Arendelle vor den wütenden Geistern zu bewahren, die sie unabsichtlich rief, muss die Eiskönigin mit ihren Weggefährten nun möglichst schnell die Stimme finden, die sie leitet – und natürlich die Antwort auf die Frage, warum die Naturgeister eigentlich so aufgebracht sind. Die Szenerie des verzauberten Waldes mit seinem Eingangstor aus gravierten Monolithen und dem immer präsenten Nebel ähnelt dabei ein wenig dem Mythos und der Symbolik rund um das im Nebel versunkene Avalon. Zumindest bei mir kam sofort diese Assoziation auf.


Doch was finden die Reisenden eigentlich vor Ort? Zunächst eine Menge magischer Phänomene durch das Wirken der Naturgeister, die sie nicht eher gehen lassen werden, bevor sie den Wald von seinem Fluch befreit haben. Überraschenderweise treffen sie auch auf Soldaten aus Arendelle, die seit der Schlacht zwischen den Truppen König Runards (Großvater von Elsa und Anna) und den Northuldra dort eingeschlossen wird. Die Northuldra, angeführt von der weisen Frau Yelena, leben ein Leben nach den Gesetzen der Natur und haben sich ihrer Umgebung weitgehend angepasst. Die erste wichtige Erkenntnis, die Elsa und Anna nun gewinnen: Ihre Mutter war eine Northuldra und rettete ihren Vater in der Schlacht. Also sind sie genetisch zu mindestens 50% auch Northuldra. Sie finden weiterhin heraus, dass die Eltern damals auf ihrer letzten Reise nicht etwa mit dem Schiff gen Süden aufgebrochen waren, sondern zum Dunkelmeer, um beim Fluss Ahtohallan nach Antworten rund um das Schicksal Arendelles und Elsas Magie zu suchen.


Kristoff, der sich übrigens ziemlich schwer mit Romantik und Heiratsanträgen tut, muss feststellen, dass das Leben an Annas Seite und in Arendelle wohl niemals ruhig und beschaulich sein wird. Aber auch, dass nicht große Worte, sondern die typischen „Höhen und Tiefen“ des Abenteuers Leben eine Beziehung stärken. Immerhin lernt er auch, dass es bei den Northuldra als total normal gilt, sich mit Rentieren zu unterhalten – in Arendelle sieht man dies eher als Spleen an. Der wissbegierige, schlaue und immer optimistische Olaf bringt Elsa und Anna mit der Theorie, Wasser habe ein Gedächtnis, auf die richtige Spur. Aber er merkt auch – es gibt immer etwas hinzuzulernen!




Ahtohallan, oder: der Fluss des Lebens


Schon im verzauberten Wald trennen sich unabsichtlich die Wege von Kristoff und Anna, zumindest kurzzeitig. Vor der Überquerung des tosenden Dunkelmeers schickt Elsa Anna und auch Olaf über eine Eisrutsche von sich, um diese vor dem Ertrinken zu bewahren. Ein Verrat aus Annas Sicht, weil diese nie wieder von der Seite ihrer Schwester weichen wollte und um deren Wohl besorgt ist. Doch Elsa weiß, dass sie diesen Weg, der auch zu ihren eigenen Wurzeln führt, nur allein gehen kann. Hatte sie zuvor den Geist des Feuers (übrigens in der Gestalt eines niedlichen Feuersalamanders) besänftigt und wird von Geist des Windes geleitet, muss sie es nun an den Erdriesen vorbeischaffen und den Geist des Wassers bändigen. Es gelingt ihr unter Einsatz all ihrer Kräfte, der Wassergeist in Gestalt eines Wasserpferdes freundet sich mit ihr an und bringt sie sicher an den Gletscher, der früher der Fluss Ahtohallan war. „Gletscher sind Flüsse aus Eis!“- nun bestätigt sich noch einmal Olafs These vom allwissenden Wasser.


Die Eiskönigin spürt, dass sie sich an diesem Ort, bei den Northuldra und Naturgeistern, sehr viel heimischer fühlt als irgendwo sonst. Zum ersten Mal nehmen andere ihre magische Gabe nicht als Seltsamkeit oder gar Bedrohung wahr. Im Gegenteil, Anna und Yelena bezeichnen sie als "Belohnung und Geschenk" für Ahrendelle. Der Fluss Ahtohallan und der Geist ihrer Mutter, die sie riefen, zeigen ihr die ganze Wahrheit über sich selbst. Sie ist der „fünfte Geist“, der die anderen Geister versöhnen und verbinden soll. In der Ahtohallan-Szene von „Zeige dich!“ greift Disney übrigens wieder auf ein Element aus dem Ursprungsmärchen „Die Schneekönigin“ zurück. Elsa sieht alle Erinnerungen in Spiegeln aus Eis, die das Wissen von Generationen beherbergen. Und noch eine mythologische Parallele lässt sich im Fall Ahtohallan ziehen, nämlich die zum Fluss „Styx“ in der griechischen Mythologie, der von Diesseits ins Jenseits führt. Weiterhin wird immer wieder Bezug auf das Motiv der „Mutter Erde“ genommen, mit dem Mutterleib als Ursprung des Lebens.





Elsa ist also schon beinah am Ziel ihrer Suche angekommen – geht aber ein paar Schritte zu weit und verliert sich im Abgrund der Schuld, den ihr Großvater durch unrechtmäßiges Handeln gegenüber den Northuldra erschaffen hat. Bevor diese alte Schuld nicht beglichen ist, fordert der Fluss Elsa als weiteres Pfand. Es gelingt Elsa aber, Anna ihre Erinnerungen zu schicken, bevor sie selbst zu einer Statue erstarrt. Hier kam bei mir übrigens augenblicklich wieder die Schilderung der griechischen Unterwelt in „Orpheus und Eurydike“ hoch, in den auch Eurydike nach einem Fehler von Orpheus zu einer Salzsäule erstarrt.


Mit Elsa löst sich auch Olaf auf, denn er lebt von deren Magie. Anna bleibt allein zurück mit der bitteren Erkenntnis, dass das Schicksal ihrer Schwester, ihrer Freunde und ihres Landes nun auf ihren Schultern liegt. Sie zwingt sich – aller Trauer zum Trotz – also dazu, komplett aus dem schützenden Schatten ihrer Schwester herauszutreten und alles, was sie liebt, mit einer todesmutigen, geradezu wahnsinnig anmutenden Strategie zu retten. Anna wird in diesem Moment zur neuen rechtmäßigen Königen Arendelles – im Moment des größten Schmerzes realisiert sie es nur noch nicht.




Am Ende finden die Schwestern wieder zusammen, als „zwei Enden einer Brücke“ zwischen dem naturnahen Volk der Northuldra und dem technologisch-weltlicher orientierten Reich Arendelle. Zwei Enden einer Verbindungsschnur, geschaffen aus dem gleichen Ursprung, nämlich der Liebe zwischen einer Northuldra und dem Thronfolger von Arendelle. Der Wald wird mit der Zerstörung des trennenden Staudamms durch die Erdriesen aus dem ewigen Nebel befreit und auch Kristoff schafft es endlich, seine Liebste um ihre Hand zu bitten. Ach ja, Olaf taucht wieder auf – schließlich hat Wasser ein gutes Gedächtnis!


Über Macht, Angst und alte Schuld


So viel zur Entwicklung der Figuren und zu mythologischen Bezügen. Doch die Geschehnisse hinter der eigentlichen Filmhandlung, das Warum der Schlacht gegen die Northuldra, öffnen einen Zugang zu einer weiteren, machtpolitischen Deutungsebene mit historischen Bezügen. Dreh- und Angelpunkt der Hintergrundhandlung ist der Staudamm, den König Runard einst zwischen den Ländern erbauen ließ. Vordergründig als „Friedensgeschenk“ nach dem ersten Besuch benachbarter Abgesandter. In der Überlieferung von Elsas und Annas Vater sind es die Northuldra, die die Schlacht aus dem Nichts begonnen hatten. „Aber warum haben sie denn angegriffen, wir haben ihnen doch etwas geschenkt!“, empört sich daraufhin die kleine Anna. Dicht gefolgt von der besorgten Frage ihrer Schwester: „Wachen die Geister irgendwann wieder auf?“.


Dank Elsas und Annas riskanter Wahrheitssuche stellt sich heraus, dass der Ursprung dieses vernichtenden kriegerischen Konflikts keinesfalls (nur) auf Seiten der sehr ursprünglich lebenden Nachbarn Arendelles lag. Schon früh kündigt König Runard seine kriegerischen und … man kann sagen, kolonialen Interessen gegenüber dem indigenen Waldvolk gegenüber einem Vertrauten an. Der Grund? Furcht vor Machteinbußen- und Fremdenangst, wenn die Kulturen in Kontakt kommen. „Einem Volk, das an Magie glaubt, kann man nicht vertrauen. Im Glauben an Magie fühlen sich die Menschen zu stark und das ist gefährlich für den Einfluss des Königs.“ Weiterhin: „Durch den Staudamm werden ihre Ländereien zunehmend austrocknen, das zwingt sie, uns um Hilfe zu bitten.“ Elsa widerspricht ihrem Großvater, aber das Geschehene ist unumkehrbar. Also tötet Runard den waffenlosen, arglosen Anführer des Nachbarvolkes vor ihren Augen mit seinem Schwert und offenbart so die große Schuld des Königshauses von Arendelle.





Mancher mag sich nun über die Wortwahl„indigen“ und „kolonial“ wundern. Aber wer sich einmal eingehender mit der Entstehungsgeschichte der USAund den „Pilgrim Fathers“ beschäftigt hat, weiß, auf welch perfide Art und Weise europäische Siedler die indigenen Stämme Nordamerikas erst ihres Landes und ihrer Kultur beraubt und anschließend in beengte, abgeschlossene „Reservate“ verdrängt haben. Entgegen langjähriger amerikanischer Geschichtsschreibung waren die Urvölker Nordamerikas eben nicht nur die „Wilden“ und die „zivilisierten“ europäischen Siedler und Staatengründer die „Guten“. Viele literarische Dokumente über die „düsteren Wälder des Grenzlandes“ zeigen durchaus Parallelen zumim Nebel eingeschlossenen Wald der Northuldra auf.


Gleiches lässt sich übrigens über die spanischen Conquistadores sagen, als sie im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert das heutige Mexiko und andere bewohnte Gebiete „als Freunde“ betraten, die Bevölkerung assimilierten, unterdrückten und ihnen freundlich gesonnene Gastgeber wie den Aztekenherrscher Moctezuma II. heimtückisch ermordeten. Nun, das waren nur zwei Beispiele aus der kriegerischen Menschheits- und Kolonialgeschichte … Kolonialismus, Sklaverei,kulturelle Zerstörung … You name it! Und was haben eigentlich schon so viele Machthaber getan, um sich von ihren fremden, „bedrohlichen“ Nachbarn abzugrenzen oder gar die eigene Bevölkerung unter Kontrolle zu halten? Richtig, gigantische Mauern bauen. In der heutigen Zeit tun es manchmal auch riesige Elektrozäune mit Selbstschussanlage … Ironie off.


Wenn man es so betrachtet, schreibt „Frozen 2“ ein Stück utopische, alternative Geschichte, in der zwei Länder einen Krieg unbeschadet überstehen und auf ewig in Frieden leben können. Weil Folgegenerationen die Schuld ihrer Vorgänger anerkennen – und die Fehler wiedergutmachen. In der Realität bleibt viel aberwitziges Unrecht weltweit aber nach wie vor unbeachtet, wird nicht gesehen oder als relevant erachtet.


Mensch und Natur im Konflikt


„In Disney-Filmen haben sie aber auch nie Umweltprobleme!“, bemerkte mein Mann ein wenig nachdenklich nach Filmende. Kurz musste ich ebenfalls überlegen, ehe ich mit einem energischen „Doch!“ widersprach. Warum? Weil der Staudamm als Corpus Delicti in „Frozen 2“ nicht nur politisch ein heißes Eisen ist. Er ist nicht nur ein „vergiftetes Geschenk“ an die misstrauisch beäugten Nachbarn, sondern auch ein großer Eingriff in den Verlauf des Flusses, der die Vegetation im Lebensraum der Northuldra nährt. Mit Offenbarung seiner politischen List bekennt sich König Runard gleichzeitig offen zu der Absicht, die natürlichen Kreisläufe„auf der anderen Seite“ zu stören und damit wissentlich in eigenem Interesse Schaden anzurichten.





Aber bevor wir nun gedanklich mit Steinbrocken schmeißen: Hier muss sich jeder Mensch wirklich einmal an die eigene Nase fassen. Denn der Interessenskonflikt zwischen einer expandierenden Zivilisation mit mehr oder minder menschlicher Prägung existiert schon, seit Menschen begannen, so etwas wie „Zivilisation“ aufzubauen? Betrachtet man also diese Deutungsebene des Films, dürfen wir uns gern fragen, was wir eigentlich von den Northuldra lernen könnten. Oder, aktueller gesprochen: Wieschaffen wir, die jungen Generationen, denn nundieses Monstrum systematischer Zerstörung unseres Lebensraumes aus dem Weg? Ansätze, auch technologische, gibt es viele- im Großen und im Alltäglichen. Und vermutlich wird es auch keinen einzigen, allgemeingültigen „Königsweg“ geben, um aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen. Wie das geht? Nun, darauf hätte wahrscheinlich auch der schlaueste Schneemann der Welt keine Antwort. Denn was da schon schief gelaufen ist, geht wirklich auf kein Rentierfell!




Erst einmal: Respekt, wenn ihr es geschafft habt, diesen Beitrag komplett zu Ende zu lesen. Ich weiß – das war eine Menge Stoff, aus dem vielschichtige Geschichten sind. Natürlich freue ich mich, wenn euch diese Filmanalyse gefallen hat und vielleicht lesen wir uns bei der nächsten!


Eure Cat



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