Wer rabenschwarzen britischen Humor mag, kommt neben Monty Python und Mel Brooks auch an Serien wie „Little Britain“ nicht vorbei. Viele Charaktere sind übertrieben verpennt im Kopf, arrogant, rassistisch, zur Schau getragen „gay“ und auch sonst politisch unkorrekt. Zum Glück darf Satire (fast) alles. Ein Glück - ansonsten könnte Marjorie Dawes als sozial inkompetente Diätberaterin bei den „Fat Fighters“ der Diätindustrie nicht so ungewollt komisch den Spiegel vorhalten.
„Hello Fatties!“ Wer diesen Satz gleich mit einem männlichen Comedy-Darsteller mit blonder Bobschnitt-Perücke in Verbindung bringt, ist auf der richtigen Spur. Die Rede ist natürlich von den „Fat Fighters“ aus „Little Britain“, vertreten durch die ach so reizende Diätberaterin Marjorie. Marjorie hat es sich zur Mission erklärt, „ekelhaft fetten und faulen …. Dingern“ in den USA zu ihrem neuen Traumkörper zu verhelfen. Mit abwertenden Kommentaren, dem Charme und Taktgefühl eines Wüstenkaktus und einer gesalzenen Prise Doppelmoral.
Bissig, bissiger, Marjorie!
Die USA- ist „das Land der Dicken“. Diese Aussage wird ím Intro jeder „Fat Fighters“-Episode deutlich hervorgehoben. Der Richtigkeit halber muss ich hinzufügen, dass es statistisch gesehen zwar einen hohen Anteil an kurviger oder stabiler gebauten Menschen gibt, sich dieses Bild aber auch in anderen westlichen Industriestaaten widerspiegelt. Doch darauf komme ich an anderer Stelle noch im Themenbereich „Health at Every Size“ zu sprechen. In diesem Beitrag bekommt erst einmal die lebende Karikatur der Diätindustrie ihr Fett weg.
Marjorie ist eigentlich alles, was ein Ernährungscoach NICHT sein sollte – rassistisch, homophob, selbstverliebt und in etwa so mitfühlend wie eine Kettensäge. Nebenbei ist sie – gemessen an den Beleidigungen, mit denen sie um sich wirft - selbst nicht übermäßig schlank. Um nicht zu sagen: Eigentlich unterscheidet sich ihre Figur kaum von der ihrer Teilnehmenden. Dennoch hat Marjorie immer Recht- das glaubt SIE zumindest. Und verstrickt sich mit ihrer Überheblichkeit in jeder Folge in einer selbstgebauten Falle aus Doppelmoral. Amüsant für die Zuschauerinnen und Zuschauer, eine gelungene Revanche für die gedemütigten „Fatties“ und ziemlich unangenehm für Marjorie. Zumindest, bis sie sich wieder den falschen Heiligenschein aufgesetzt hat.
Als Ernährungsberaterin, die eindeutig ihren Job verfehlt hat, nimmt sie sich unverschämt viel heraus und teilt derbe Sprüche aus. Nur das Einstecken sollte Marjorie noch üben – auf Kritik reagiert sie nämlich demonstrativ mit der Ausrede „Habe ich nicht verstanden!“. Im echten Leben würden Frau Dawes wohl die Kursteilnehmer nach der ersten Stunde schon weglaufen und sie hätte massenhaft Beschwerden am Hals. Aber das wäre doch zu schade um die schöne Comedyserie. Deswegen kommen doch immer wieder Teilnehmer und teils prominente Gäste zu den „Fat Fighters“, um über Ernährung und Gewicht zu streiten.
Diätindustrie vs. Selbstwert
Marjorie bringt sich mit fast jedem flapsig-gemeinen Spruch in eine absolute Facepalm-Situation. Im Großen und Ganzen nimmt man sie als eine Person wahr, die KEINESFALLS beruflich „irgendwas mit Menschen“ machen sollte. Ein gewisses Mindestmaß an Empathie und Kundenorientierung brauchen schließlich selbst die schrulligen Backoffice-Nerds aus der IT-Crowd.
Dennoch oder gerade deshalb ist Marjorie Dawes die perfekte Verkörperung ihres Geschäftszweiges, einer sehr profitablen Industrie rund um Körperideale, Selbstoptimierung und Gewichtsverlust. Ihre Methoden sind zwielichtig, manipulativ und grenzen an psychische Gewalt gegen ihre „Fatties“. Also gegen Menschen, die sich eigentlich ehrliche Hilfe für einen nachhaltigen, gesunden Gewichtsverlust erhoffen.
Die Diätindustrie ist ein Wirtschaftssektor, in der viele verschiedene Akteure ihren Weg zu mehr Gesundheit und Fitness und zu weniger Körpermasse als DEN einzig richtigen Weg verkaufen. Kein Wunder, dass in dem ganzen Dschungel aus Ernährungstipps, Punktesystemen und Fitnessprogrammen kaum jemand mehr durchblickt! Von Intervallfasten über Low-Carb bis hin zu Mahlzeitenersatz und „Abnehmpillen“ für den Stoffwechel ist für jede potenzielle „Kundenzielgruppe“ etwas dabei. Welche Diäten gerade im Trend sind, regeln Angebot und Nachfrage.
Eine recht fiese Gemeinsamkeit haben alle Ansätze, Produkte und Programme rund ums Abnehmen dennoch. Ihre Erfinder und Beteiligten setzen voraus, dass der Wert (und auch Selbstwert) eines Menschen sinkt, wenn er sich außerhalb einer gewissen durchschnittlichen Körpernorm bewegt. Die Teilnehmer und Konsumenten bekommen somit gnadenlos die Labels „ungesund“, „undiszipliniert“ und „zu blöd für gute Ernährung“ ab. Das ist alles in allem sehr bedenklich für den Selbstwert eines Menschen, für dessen Vertrauen in den eigenen Körper und somit auch für einen bleibenden Erfolg beim Erreichen persönlicher (Gesundheits-) Ziele.
Ist die Darstellung der erfundenen (aber an einem realen Beispiel orientierten) „Fat Fighters“-Bewegung in der Person der zutiefst gehässigen Marjorie nun also überspitzt? Natürlich ist sie das. Einen wahren Kern kann man dieser menschlichen Karikatur jedoch nicht absprechen. Und die Drehbuchschreiber gestalten diese zutiefst menschliche Tragikomödie im ewigen Zirkus der Selbstoptimierung meines Erachtens schauspielerisch brillant und inhaltlich so präzise auf den Punkt gebracht, dass die geballte Seltsamkeit dieses „dicken Geschäfts“ einem förmlich ins Gesicht springt. That’s British humour, my friend – and I love it!
Alle „Fat Fighters“-Episoden auf Youtube zum Mitlachen, Kopfschütteln und Wundern gibt es hier.
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