Homeoffice oder Büro – und vor allem in welchem Verhältnis? Diese Fragen beschäftigen zurzeit viele Unternehmen und Mitarbeiter weltweit. Und auch mich betrifft es nach langer Zeit. Nach vier Jahren als „digitale Einsiedlerin“ mit 100 Prozent Homeoffice bewerbe ich mich nämlich zurzeit wieder. Natürlich auch auf Jobs in der Umgebung, die dieses seltsame Ding namens „Präsenz“ erfordern. In manchen Momenten bin ich mir jedoch nicht ganz sicher, ob das nicht ein wenig übermütig war.
„Klar komme ich gerne wieder für ein paar Tage in der Woche ins Büro. Schließlich will ich auch mal wieder unter Menschen kommen!“, hörte ich mich letzten bei einem der vielen Erstinterviews über Microsoft Teams noch zuversichtlich sagen. Virtuelle Interviews fallen mir leicht. Man schaut nur mit dem Gesicht in eine Kamera, muss sich keine Sorgen machen, ob die Jeans zu den Hauslatschen passt und ob das Gegenüber finden könnte, man habe zu stämmige Oberschenkel oder einen dicken Hintern. Unangenehme Soundkulissen wie Husten, Niesen oder Räuspern lassen sich durch einen Klick auf den Mute -Button einfach ausblenden.
Kurz: Ich kann mich über diesen Kanal viel besser auf die eigentlichen Themen konzentrieren und selbstsicherer „auftreten“. A propos Hintern – manchmal könnte ich mir in den selbigen beißen, weil ich so hyperoptimistisch verkündet habe, dass ich mich total auf mehr Menschenkontakt und auf Gespräche in der Kaffeeküche freue. Wie unsicher ich in den letzten vier Jahren im Homeoffice geworden bin, wird mir erst in stillen Momenten wieder bewusst.
Zum Beispiel, wenn bei LinkedIn eine Nachricht aufploppt, dass die HR-Managerin und der Leiter des Fachbereichs mich gern persönlich an dem Standort kennenlernen möchten, den ich im Videointerview noch so super fand. Kurz und knapp: Ich bin in der nächsten Runde bei einem Vor-Ort-Gespräch. Und nach anfänglicher Freude kommen nun doch die ersten Zweifel hoch, ob mir dieses „Vor-Ort-Ding“ doch noch die Suppe versalzen wird. Einfach, weil ich das selbstsichere Auftreten im direkten Gespräch „verlernt“ haben könnte. Meine Mum meinte nur dazu: „Das ist wie Fahrrad fahren, das verlernt man nicht!“. Hoffentlich behält sie Recht.
Auf fremdem Terrain
Natürlich freue ich mich über diese Einladung. De facto freue ich mich oft über Gesellschaft, solange ich danach wieder ein wenig Ruhe tanken kann. Ambivertiert nennt man das, glaube ich. Allerdings bietet ein direktes Gespräch viel mehr Potenzial, um sich komplett zum Affen zu machen. Vor allem, wenn man auf der sozialen Ebene so viel „verlernt“ hat wie ich – das letzte Mal, dass ich „live“ ein Büro oder einen Lernraum betreten habe, ist mindestens vier Jahre her. Im Homeoffice ist man stets in seinem eigenen Revier, kann sich jederzeit zurückziehen und seltsame, kauzige Angewohnheiten, die man sich dort angeeignet hat, fallen nicht weiter auf. Zum Beispiel den ganzen Tag in Hausschlappen und Mottoshirts herumlaufen. Mit dem Saugroboter schimpfen, aus dem Nichts heraus bekloppte Lieder singen, die man aufgeschnappt hat. Oder mit den Hauskatzen ein Gespräch auf „Miau“ führen.
Im eigenen Revier, in der eigenen „Höhle“, ist alles erlaubt, was den Arbeitsfluss nicht nennenswert stört. Es sei denn, es steht eine wichtige Videokonferenz an, bei der man sich „benehmen“ und irgendetwas repräsentieren muss. Aber das kommt bei einem Backoffice-Job nicht allzu oft vor. Im Grunde sieht also keiner, ob man in der Jogginghose und einem knallbunten Batikshirt vor dem PC hockt oder „ordentlich“ angezogen ist. Unter uns gesagt: In der Regel interessiert es demnach auch niemanden.
In einem fremden Revier, sprich, im Büro, gestalten sich die Rahmenbedingungen freilich ein wenig anders. Andere Menschen haben die Möglichkeit, einen jederzeit anzusprechen und zu beobachten, was man tut oder auch „vergisst“. Es ist – je nach Bürogröße – schwieriger, sich zurückzuziehen, um mit seinen Gedanken allein zu sein.
Der „Intro“ und der „Extro“ in mir
Nun ist Präsenzarbeit trotz allen Aufwands wie „angemessener Kleidung“ und gewisser Fahrtstrecken auch etwas Tolles. Man muss denWitz von Monty Python oder aus "Little Britain" nicht mehr als GIF in einem Messenger senden, sondern kann das Filmzitat zwischen zwei Schlucken Kaffee bringen. Arbeit bleibt nach Feierabend in der Regel dort, wo sie hingehört -am Arbeitsplatz. Es ist einfacher, mit seinen Kollegen in Kontakt zu bleiben und wichtige Fragen „auf dem kurzen Dienstweg“ zu klären, ohne diese vorher zu bündeln und aufzuschreiben. Auch manche Innovation soll schon aus einem nur halb ernst gemeinten Gespräch in der Kantine entstanden sein oder ist schlicht eine „Schnapsidee“ von einer Firmenfeier. In diesem Sinn: Prost!
Hätte man mein jüngeres Absolventen-Ich oder auch: die Version von mir vor den Kindern gefragt, welche Arbeitsform mir am liebsten sei, hätte ich mich immer für das Büro entschieden. Denn mein Ich vor Mutterschaft und Eigenheim ist ein „Extro-Ich“, mit viel Spaß am Ausgehen, an Reisen (auch in andere Länder) und an ganz vielen neuen Kontakten. Teamevent? Klar. After-Work-Cocktail? Sicher doch, bin dabei! Ein Wochenende mit den Freundinnen mit Shopping, Kultur und Party? Kein Problem, ich buche das für uns. Mehrtägiger Messebesuch … Ach super, das Hotel hat sogar einen Pool?
Da es aber bekanntermaßen nicht immer einfach ist, Beruf, Familie und sonstige Beziehungen miteinander zu vereinen, hat besonders in den vergangenen vier Jahren zunehmend mein „Intro-Ich“ das Kommando übernommen. Aufbrezeln und Kneipentour? Muss das sein … wir könnten doch auch einfach Pizza bestellen und in der Jogginghose DVD schauen. Business-Event? Moment, habe ich dafür überhaupt noch irgendetwas zum Anziehen, das mir passt und worin ich mich nicht komplett verkleidet fühle? Essen gehen nach Feierabend im Kollegenkreis … Sorry Leute, da muss ich erstmal meinen Mann anrufen, ob er die Kinder ins Bett bringen kann. Workation mit Übernachtung? Oh je, tut mir Leid. Da bin ich raus – die Kinder, ihr wisst schon. Aber ich wünsche euch ganz viel Spaß! Zu welchen Uhrzeiten ist die Messe? Uff, da muss ich aber wirklich gucken wegen der Kita-Öffnungszeiten!
Resozialisierung ist niemals einfach!
Vor einer Weile kamen vermehrt Meldungen auf, dass immer mehr Berufsanfänger nach der Corona-Pandemie Coachings zu sozialen Skills und das korrekte Auftreten am Arbeitsplatz wahrnehmen müssten. Einfach, weil sie die grundlegenden Regeln des sozialen Miteinanders im professionellen Umfeld nie erlernen konnten (Kontaktbeschränkungen und reine Remote-Ausbildung) oder teilweise wieder verlernt haben. Anfangs schmunzelte ich über solche Nachrichten. Na, so schwer kann es doch nicht sein, vollständig angezogen und sprachlich korrekt im Büro aufzutreten, dachte ich. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich den totalen Rückzug in die Remote-Sphäre nicht komplett selbst gewählt habe. Es hat sich eben ergeben – durch den Aufgabenbereich, aber auch die Notwendigkeit, bei einer Kitaschließung oder bei Krankheit jederzeit die Kinder betreuen zu können.
Wann immer ich jedoch auf einem Event nur unter Erwachsenen bin, sind sich der „Intro“ und der „Extro“ in mir (noch) nicht einig, wie viel Gesellschaft und Input an Kontakten mir eigentlich gut tun und wie lange mein „sozialer Akku“ durchhält. Also sauge ich fasziniert die Gesichter, Geschichten und Gespräche auf wie ein Schwamm, um mich hinterher ziemlich erschöpft wieder in meine „Höhle“ zurückzuziehen. Reize verarbeiten, schreibend oder in Gedanken, damit der Prozessor nicht überhitzt. Was soll ich sagen, ich bin so viel Gesellschaft und soziale Events einfach nicht mehr gewöhnt. Nicht nach einer anstrengenden Lebensphase als Mutter mit einer aufwendigen Hausrenovierung und einem Remote-Job, der viele sinnvolle und interessante Herausforderungen bietet, aber über lange Zeit hinweg wenig Menschenkontakt. Auch im Revier „Büro“ werde ich, wenn es dazu kommt, erst einmal eine Art innere Resozialisierung durchlaufen müssen.
Nice to meet you!
Zum Schluss ein kleiner Appell an alle, die ich vielleicht irgendwann dort treffen werde … Nehmt es mir bitte nicht übel, wenn ich mich erst an die neue Umgebung gewöhnen und Vertrauen gewinnen muss. Gebt mir ein wenig Zeit, um „aufzutauen“, und verwechselt Unsicherheit in dieser Übergangszeit nicht mit Arroganz. Ganz sicher werde ich euch mögen, oder zumindest viele von euch, aber erst einmal nach der richtigen Balance zwischen Nähe und Distanz suchen. Neue Räume und Routinen werden erst einmal ungewohnt für mich sein – vor allem, wenn ich die Räume mit vielen von euch teile. Wenn man viel allein war, werden die Sinne anfälliger für Ablenkungen und „Störungen“ von außen, an diesen neuen Pegel muss ich mich also erst noch gewöhnen. Dennoch werden wir uns, sobald ich auch im Takt bin, sicher bombig verstehen. Schließlich wohnt in jedem „Ambi“ auch ein „Extro-Ich“ - und meines lässt sich mit einer Tasse Kaffee und einer Prise Humor einfach hervorlocken!
So, nun bin ich gespannt … Hat noch jemand von meinen Lesern hier beschlossen, dem Büro zumindest tageweise wieder eine Chance zu geben? Wie bereitet ihr euch auf die „Resozialisierung“ als Umstellung von der Soloarbeit zu Hause hin zu dem turbulenten und spontanen Geschehen vor Ort vor? Welche Tipps könnt ihr mir (und vielen anderen) auf den Weg geben, um sanft in einer neuen Umgebung zu landen?
Bis dann, eure Cat
Comments