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Unter der Sichtlinie

Remote-Arbeit im Backoffice, Sorgearbeit in der eigenen Familie oder soziales Engagement – es gibt viele Bereiche, die vom persönlichen oder beruflichen Umfeld einfach nicht „gesehen“ werden. Dahinter steckt nur selten böse Absicht, all diese Tätigkeiten und „alltäglichen“ Leistungen finden nur außerhalb des Sichtfelds vieler Menschen statt. Grund genug, um sie endlich sichtbar zu machen!




Wenn es um „unsichtbare“ Leistungen und Arbeiten geht, sind mein Mann und ich wahrscheinlich lebende Klischees. Denn wir arbeiten beide im Backoffice-Bereich, ich sogar komplett remote von zu Hause aus. Bis vor etwa zwei Jahren war er auch Teil der Familienfirma, um sich dann aber einen vielversprechenden Job außerhalb der Homeoffice-Blase zu suchen. Wir arbeiten momentan beide in Teilzeit, teilen uns die tägliche Sorgearbeit rund um Haus, Kinder und Katzen bestmöglich auf und leisten uns neben Saug- und Wischrobotern einmal wöchentlich eine Reinigungskraft. Dafür gibt es eben keine Flugreisen in ein Fünf-Sterne-Resort, sondern Camping. Das ist eh viel klimafreundlicher und auf einem Campingplatz können die zwei Kinder so viel Dreck machen, wie sie wollen. Insgesamt sind wir so gesehen eine ziemlich durchschnittliche Familie mit ziemlich durchschnittlichen Problemen und Routinen.


Beruflich bin ich für die Social-Media-Profile unserer kleinen IT-Firma oft auch auf LinkedIn und manchmal auf XING unterwegs. Privat eher auf Facebook und neuerdings auf Instagram, um Kontakte zu Bloglesern und anderen Bloggern zu knüpfen. Aber wo ich mich auch immer online hinbewege –es macht mich oft unzufrieden, über die Messeauftritte und neuen Aufgaben anderer Menschen in Großkonzernen zu lesen. Es weckt eine produktive Form von Neid in mir, wenn andere über ihre persönlichen Erfahrungen und Erfolge mit Kunden berichten. Oder auch über ihre total wertschätzende Teamkultur, in der jeder Mitarbeiter mit seinen Stärken und seinem Wissen punkten und sich weiterentwickeln darf. Über neue Führungskulturen, New Work (Homeoffice ist übrigens ein wichtiger Teil davon) und Strategien, um Konflikte zu lösen. Ich gönne jedem dieser Menschen seine persönlichen Erfolge, denke aber auch: Unter anderen Umständen könntest du das sein!




Manchmal ist es schon ein wenig einsam!


Lange konnte ich diese Unzufriedenheit nicht exakt einordnen. Denn im Großen und Ganzen liebe ich mein Leben. Meine Aufgaben, die mir eine Menge Freiheit lassen … zumindest die meisten. Die Familie – auch wenn Feechen und Kobold uns als Eltern durchaus auf die Palme bringen können. Das Schreiben als persönlichen Ausdruck und als Erholung. Die relative finanzielle Sicherheit, die uns die aktuelle Einkommenssituation bietet. Jetzt zumindest – denn natürlich gehöre ich auch zu der Mehrheit der Bevölkerung, deren größte Angst Altersarmut ist.


Mein Hauptproblem, wie ich herausfinden durfte, ist die Tatsache, dass sehr viele Tätigkeiten im Hintergrund einfach nicht wahrgenommen werden. Und wenn sie jemand wahrnimmt, dann zu häufig als „Selbstverständlichkeit“ und „nicht der Rede wert“. Menschen sind soziale Wesen und brauchen Zugehörigkeit und Anerkennung. Sie wollen „gesehen“ werden, nicht nur dann, wenn sie Fehler gemacht haben und deswegen Kritik ernten. Ein Umgang miteinander nach dem Motto „Nicht gemeckert ist genug gelobt!“ fördert nicht gerade die Motivation, sich weiter auf ein Ziel zu fokussieren. Natürlich ist auch konstruktive Kritik wichtig - wenn sie wirklich dazu dient, sich und seinem Gegenüber das Leben leichter zu machen. Destruktive Kritik hingegen schadet mehr, als sie nützt.


Um positive Anerkennung oder auch Tipps zur Verbesserung entgegenzunehmen, bräuchte ich aber erst einmal … ein Team, mit dem ich vor Ort in der Kaffeeküche die aktuelle Lage besprechen könnte. Oder um einfach nur nach einer zweiten oder dritten Meinung über eine Lösungsidee zu fragen. So viele Vorteile das Homeoffice auch bietet (z.B. keine Pendelstrecken, schnelle Reaktion, wenn die Kinder mal krank werden, einfach mal Ruhe …) so einsam und frustrierend kann es manchmal sein, alles nur mit sich selbst „auszuhandeln“. Oft fühle ich mich einfach von den spontanen Gesprächen abgeschnitten, die Erwachsene führen, wenn die Kinder unter ihresgleichen sind. So kommt dann auch beizeiten der kreative Gedankenfluss ins Stocken, zumal die heimischen Haushaltsmaschinen oder privaten Anrufe auf dem Handy durchaus laufende Vorgänge unterbrechen. Egal, ob man nun großartig darauf reagiert oder nicht. Fest steht: um zufriedener zu werden, brauche ich einfach mehr Anerkennung für Alltägliches.




„Undank ist der Welten Lohn“


Aber wenn ich mich in einem vergleichsweise angenehmen Bürojob schon zu wenig wahrgenommen fühle, wie muss es dann all jenen gehen, die Tag für Tag die Basis für unsere Gesellschaft schaffen? Den Pflegekräften, Recyclingexperten, Notfallsanitätern, Reinigungskräften und ehrenamtlichen Mitarbeitern? „Undank ist der Welten Lohn“ lautet ein bekanntes Zitat aus dem „Rattenfänger von Hameln“. Und was passiert, wenn Erzieher, Busfahrer und Entsorger ihre Arbeit niederlegen, sehen wir zurzeit recht deutlich. Nebenbei: Hinter dem Fachkräftemangel verbirgt sich auch oft fehlende Wertschätzung für ganze Berufsgruppen. Bitter für die Menschen in diesem Sektor und bitter letzten Endes auch für uns alle als Gesellschaft.


Zu viele gebrochene Versprechen bringen Zahnräder zum Stehen und Menschen dazu, die Alarmglocke zu läuten. Im schlimmsten Fall kann zu wenig Wertschätzung für Mitarbeiter, Mitglieder der Gesellschaft und ganze systemtragende Berufsgruppen zu Stillstand und Chaos führen. Und spüren werden dies so ziemlich alle. Also ein bisschen mehr Respekt, ein bisschen weniger Arroganz, bitte.


Als Gedankenexperiment kann man einmal kurz die Augen schließen und sich folgendes vorstellen:


  1. Patienten und Hilfsbedürftige sind auf sich allein gestellt, weil es keine Pflegerinnen und Pfleger gibt.

  2. Es gibt keine geordnete Kinderbetreuung mehr, weil Erzieherinnen und Erzieher ihre Aufgabe einfach nicht mehr ausführen können oder wollen.

  3. Niemand kümmert sich um Obdachlose, Flüchtlinge oder heimatlose Streuner.

  4. Der Müll stapelt sich auf den Bürgersteigen, weil die Recyclingunternehmen den Dienst verweigern.

  5. Schule findet nicht mehr statt, weil Lehrerinnen und Lehrer genug von ständigen Überstunden, Vorwürfen durch Eltern und von absurden gesetzlichen Schikanen wie z.B. der jährlichen Befristung von Arbeitsverträgen ohne Verbeamtung.

  6. Alle Arbeiten zu Hause oder auf dem Betriebsgelände müssen eigenhändig erledigt werden, da Reinigungskräfte und Gartenbauunternehmen wegen unfairer Bedingungen aufgegeben haben.

  7. Busse, Bahnen und Taxis fahren nicht.

  8. Die Versorgung mit Lebensmitteln aus dem Supermarkt ist nicht mehr sichergestellt, weil niemand mehr an der Kasse sitzen will.

  9. Bildungschancen werden weniger, weil Sozialarbeiter in der Jugendarbeit von der Bildfläche verschwinden.

  10. Straßen und öffentliche Plätze werden nicht mehr gereinigt.

  11. Niemand führt mehr Reparaturen und Bauarbeiten durch.

  12. Kinder und Pflegebedürftige sind auf sich allein gestellt, weil sich niemand um ihre Bedürfnisse kümmert.

  13. Briefe und Pakete kommen nicht an.

Diese Liste ließe sich verlängern, womöglich hast du dir auch nicht alle Szenarien auf einmal vorstellen können. Was aber sicherlich deutlich wurde: Ohne ihre tragenden Säulen bricht jede Gesellschaft ein. Also schließe nun noch einmal deine Augen, stelle dir eine Welt vor, in der all diese Menschen Wertschätzung erfahren und sage in Gedanken einmal „Danke für eure Hilfe!“.




Zeigt euch und werdet sichtbar!


Aufmerksamkeit in einer schnelllebigen Welt voller paralleler Eindrücke zu erhalten ist heute eine der wichtigsten „Währungen“, um erfolgreich zu sein und überhaupt gesehen zu werden. Daran erinnert mich übrigens auch immer wieder Mein SEO-Tool auf der Firmenwebsite, sobald ich es wage, einen „schwer lesbaren“ Paragrafen abzuspeichern. Der Grund: Leute „schalten ab“, wenn es schwierig wird. Produktnutzen und alle wichtigen Fakten? Bitte alles innerhalb von 15 Sekunden in einem Video. Ihr seht, es ist gar nicht so einfach, NICHT aus Versehen unter dem Radar zu landen. Sowohl in sozialen Netzwerken als auch im „echten Leben“, welches bereits stark von digitalen Routinen und Denkstrukturen durchzogen ist.


Ich könnte mich auch in meinem Blog theoretisch an alle SEO- und Marketing-Vorgaben halten, um von möglichst vielen Lesern „gesehen“ zu werden. Tue ich aber nicht, weil es mich im privaten Schreiben zu sehr einschränkt. So werde ich sicher nicht von jedem Leser da draußen wahrgenommen, aber hoffentlich von denen, die sich wirklich für meine Inhalte interessieren. Total „oldschool“ und irgendwie steinzeitlich? Vielleicht. Aber ich mag’s so. Beruflich verfolge ich an dieser Stelle natürlich auch andere Ziele.


Um überhaupt „gesehen“ zu werden, muss man sich aber erst einmal öffnen und die Dinge zum Thema machen, die einen bewegen. Das fällt vor allem introvertierten und schüchternen Menschen oft schwer. Sie würden gerne mehr Zuspruch und Anerkennung für ihre Arbeit und Leistungen bekommen. Aber sie können und wollen dabei eben nicht „laut“ und „auffällig“ sein, weil es nicht zu ihrem Grundcharakter passt. Und das ist auch völlig in Ordnung. Dennoch gibt es für jeden Menschen einen Weg, der sich richtig anfühlt, um die eigenen Meinungen, Grenzen und Bedürfnisse auszudrücken. Im meinem Fall ist dies – unschwer zu erkennen – meist das geschriebene Wort und ein passendes GIF oder verlinktes Video.



Alltag ist politisch


Noch eine Sache, die ich früher nicht verstanden habe, ist zum Beispiel die wachsende Popularität von „Mami-Blogs“ (und natürlich leider noch zu wenigen „Daddy-Blogs“). „Ist doch alles total banal“, dachte ich und rollte innerlich mit den Augen. Dann bekam ich selbst Kinder. Verlor die Chance auf eine Entfristung meines ersten richtigen Arbeitsvertrags nach dem Studium, weil ich als Schwangere mindestens 3 Monate vor und nach der Geburt ausfallen würde. Später musste ich selbst diese tausend Entscheidungen treffen, über die die Autorinnen und Autoren in Familienblogs und –Vlogs immer berichten. Kämpfte mit „Mom-Guilt“ und „Mom-Shaming“ unter anderem deshalb, weil ich meinem Mann die Elternteilzeit überließ, um weiterhin am beruflichen Weiterkommen zu feilen. Dieses Ding mit dem „Mental Load“, der Mehrfachbelastung und der Vereinbarkeit, wenn die Kita coronabedingt mal eben mehrere Monate dicht machte, war dann eben doch nicht so selbstverständlich.


Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, werden die meisten unter uns niemals so filmreife Stunts hinlegen wie James Bond und dadurch die Welt retten. Viele von uns haben Rahmenbedingungen, die einen schnellen, kometenhaften Aufstieg ins Top-Management einfach nicht zulassen. Nicht jeder hat das Zeug und den Willen dazu, als Botschafter für Menschenrechte vor Millionen von Fernsehzuschauern zu sprechen, mit einer technologischen Innovation alle Probleme der Menschheit zu lösen oder auf der Filmleinwand weltweit Menschen mit seinem Charisma zu begeistern. Viele kämpfen sich in besonders in Krisenzeiten eher durch den eigenen Alltag, ohne daran zu verzweifeln. Und auch das ist OK. Oder sie setzen sich ehrenamtlich und ohne besondere Anerkennung und finanzielle Gegenleistung für andere Menschen und die Umwelt ein. Das ist nicht nur OK, sondern zeigt die „wahren Helden“ unserer Gesellschaft. Jeder und jede leistet einen Beitrag, denn allein kann niemand alle Probleme lösen. Allmächtige Superhelden dienen eben doch der Unterhaltung und Influencer und Filmstars sind dann doch nur Menschen. Oder, wie Oma sagen würde: „Die kochen alle nur mit Wasser!“.




Und weil es genau unser „profaner“ Alltag ist, der über das Fortkommen und die Rückschritte in unserer Gemeinschaft entscheidet, teilen wir uns doch einfach mit! Nicht um zu zeigen, dass wir selbst die „Größten, Besten und Schlauesten“ sind, sondern um auf Augenhöhe miteinander zu reden. Um zu erkennen, was jede und jeder Einzelne eigentlich tut und leistet, um die Gesellschaft voranzubringen. Werden wir gesehen und kommen wir zu Wort, fühlen wir uns wieder zufriedener mit unserem Leben, erkennen unsere Ziele und danken es anderen mit Wertschätzung. Wertschätzung, die jeder verdient hat – egal wie er aussieht, egal was er besitzt (oder auch nicht). Alles, was wir dafür brauchen, sind offene Augen und Ohren und ein freundliches Herz.


Ein kleiner Spoiler zum Schluss: In einem meiner nächsten Posts stelle ich euch ein grafisches Modell vor, mit dem ihr euch in schwierigen Phasen auch selbst ein wenig Anerkennung schenken könnt! :)


Eure Cat

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