Brüste waren - und sind - ursprünglich eine sehr praktische Einrichtung der Natur, um als Nahrungsquelle den Fortbestand unserer Spezies zu sichern. Doch auch optisch sind sie - ob gewollt oder nicht - für andere Menschen ein Hingucker. Doch was passiert eigentlich, wenn unsere Brüste nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen? Eigentlich doch - gar nichts.
Im vergangenen Sommer in unserer Küche. Ich trage nach langer Zeit mal wieder ein Sommerkleid aus meinem früheren Fundus. In der Öffentlichkeit natürlich mit BH darunter – zu Hause eher „oben ohne“. Denn da laufen eh nur Leute herum, die mich gut kennen. Mein Mann sitzt mir gegenüber, während ich genüsslich einen Schluck Kaffee trinke- schließlich ist endlich mal Ruhe und die Jüngste macht Urlaub im Lummerland. „Hast du heute noch was vor?“, neckt mich meine bessere Hälfte mit Blick auf das Kleid und den Ausschnitt, der sich bei manchen Bewegungen bereitwillig zeigt. „Nö“, antworte ich knapp „Habe nur wieder meine alten Sachen durchgeforstet.“ Er nickt. „Schick, aber wenn du nach draußen gehst … würde ich mir einen BH anziehen. Das hängt ja schon etwas.“
Die Schwerkraft ist ein Naturgesetz!
Für einen Moment weiß ich nicht, ob ich ihm eine saftige Retourkutsche verpassen soll, beleidigt sein soll wie in Zeiten vor dem Intuitiven Essen oder ihn einfach mal mit seinen eigenen Alterserscheinungen aufziehen soll. Im Spaß, natürlich. Wir sind ja ein Team, keine Gegner. Ich entscheide mich für Letzteres. „Na, du wirst auch nicht jünger. Außerdem, bei dir hängt doch auch ständig was rum.“ OK, der war ein wenig unter der Gürtellinie – aber wenn man sich 15 Jahre lang kennt, kann man zwischen Herumflachsen und ernsthaften Beleidigungen recht gut unterscheiden. Wir fangen spontan beide an zu lachen. Ich schaue auch kurz an mir hinunter. Meine Brüste sehen nach zwei Schwangerschaften, teilweise Stillzeiten und mehreren starken Gewichtsschwankungen natürlich nicht mehr aus wie die eines Teenagers. Die Schwerkraft fordert eben ihren Tribut und das Gewebe lässt nach. Aber nicht nur das – größer sind sie geworden und ein wenig asymmetrisch. Auch das ist eine Laune der Natur, auf die ich normalerweise nur achte, wenn ich auf der Suche nach günstigen, guten BHs jenseits des „A-bis-D-Spektrums“ bin. Das ist nämlich manchmal gar nicht so einfach.
Ich erinnere mich, als ich noch eine Körbchengröße D bis DD hatte. Ich suchte einen trägerlosen BH für ein Neckholder-Ballkleid, das ich auf meiner Hochzeitsfeier anziehen wollte. Nachdem ich bei den „üblichen Verdächtigen“ unter den Modeketten nicht fündig geworden war, steuerte ich das eher exklusiv und „teuer“ wirkende Dessousgeschäft in den Innenstadt an. Kann man sich ja mal leisten zur eigenen Hochzeit, dachte ich. Hier würde ich sicher das finden, was ich brauchte. „85 D und trägerlos? Uff. Ob das hält?“, fragte die Verkäuferin direkt auf meinen Wunsch hin. Die Ratlosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Dann fiel ihr aber wieder ein, was eigentlich ihr Job war und dass sie ja eigentlich auch Geld mit Unterwäsche verdienen wollte. „Die Auswahl ist nicht groß, aber drei Modelle habe ich. Das sind Vario-BHs mit transparenten Trägen. Die können Sie unterschiedlich tragen oder weglassen.“ Ich nickte und wartete. Probierte diese doch recht unspektakulär aussehenden „Wunderwerke der Unterwäscheindustrie“ an, der dritte passte endlich und rutschte nicht in den ersten paar Sekunden wieder abwärts. Der Preis schien mir zwar vergleichsweise hoch, aber nach der ganzen Odyssee zuvor war ich bereit, diesen zu zahlen.
Man heiratet schließlich nur einmal im Leben, hoffentlich. Außer die Tante meines Mannes – die hat sich gleich vier Ehen inklusive Hochzeitsfeiern gegönnt. Irgendwann beim Probetragen fiel mir dann auf, dass die Gummischicht beim Unterbrustband eben doch nicht hielt, was sie versprach – und entschied mich für die Variante mit Neckholder-Trägern. Das war in einer Zeit, als ich noch nicht so versiert darin war, den Onlinehandel für Modefragen zu nutzen. Vermutlich hätten mich gewisse Versandhändler hier eher zum Ziel gebracht – aber man möchte ja auch die Sachen direkt anprobieren und den lokalen Handel unterstützen.
Perfekter BH- perfekte Brüste?
Die Sache mit dem BH – immer wieder ein kontrovers diskutiertes Thema. „Kauf dir auf jeden Fall einen richtig guten BH“, rät mir meine Mum noch heute, wenn irgendwelche wichtigen Termine für mich anstehen. Oder: „Hast du auch einen gut sitzenden Badeanzug für den Schwimmkurs? Andere Mütter dort achten darauf!“. Was an diesen Ratschlägen dran ist? Ich weiß es nicht. Sicher will man nicht abgewetzt, dreckig oder in total schräg sitzenden Klamotten herumlaufen, wo Leute einen begutachten können, aber ist es wirklich so wichtig, dass die Brüste aussehen, als kämen sie gerade vom Schönheitschirurgen? Ist es nicht die totale Täuschung, so zu tun, als hätte die Schwerkraft gar keine Macht über den eigenen Körper? Und vor allem: Sollten Personaler beim Vorstellungsgespräch wirklich die beruflichen Fähigkeiten von Beschaffenheit und Neigungsgrad eines weiblichen Körperteils abhängig machen? Oder verlaufen sich manche hier schlicht in die 1960er Jahre, in denen „hübsch sein“ für eine Frau noch ein Hauptkriterium war, um dem Chef zu gefallen und einen Job zu bekommen? Wären andere Mütter im Schwimmbad nicht vielleicht eher erleichtert, wenn sie sehen, dass der Zahn der Zeit an jedem Körper nagt und sie selbst da keine Ausnahmen darstellen?
Andererseits hat ein gut sitzender und stützender BH natürlich auch seine Vorteile. Man vermeidet bei schweren Brüsten Rückenschmerzen, kann beim Zumba unbeschwert zur Musik mithüpfen und sorgt, wenn es denn gewünscht ist, für ein schönes Dekolletee. Beim Stillen ist man nicht darauf angewiesen, komplett „blankzuziehen“ und Milchflecken direkt auf dem Shirt sind eben durchaus lästig. Still-BHs ab Körbchengröße E habe ich übrigens in beiden Schwangerschaften in lokalen Geschäften vergeblich gesucht. Aber online gefunden- wenn man die optischen Ansprüche etwas zurückschraubt.
Generell habe ich in mehr als 20 Jahren BH-Tragen bereits vieles ausprobiert – Push-Up, Minimizer, T-Shirt-BH, Vario-BH, Bustier, Sport-BH, nahtlose BHs. Aus Baumwolle und Polyester, mit Spitze oder ohne, mit oder ohne „Stillfunktion“. Zwei Dinge hatten aber alle Varianten gemeinsam. Sobald ich allein oder mit Partner und Kindern zu Hause war, wanderten sie abendsin den Schrank oder in die Wäsche. Oder, wie mein Mann charmant wie immer sagen würde: „Freiheit für die Möps!“. Und: Kein BH der Welt hat meine Brüste daran gehindert,mit der Zeit „nachzulassen“ und der Schwerkraft zu entgehen. Den „perfekten“ BH für mich, in dem ich mich pudelwohl fühle, der wie von Zauberhand den Zahn der Zeit aufhät und den es auch noch günstig in meiner Größe gibt, habe ich bis heute nicht gefunden. Wenn ich dies je tue, empfehle ich ihn gern. Bis dahin muss ich wohl – wie so viele andere Frauen – mit dem „Unperfekten“ leben. Sowohl in Bezug auf meine schwerkraftgeplagten Brüste, die ihre biologische Funktion theoretisch schon erfüllt haben, als auch bei dem, was der Unterwäschemarkt bietet.
Relaxed breast? Total normal!
Was ich an dieser Stelle allen an sich Zweifelnden mitgeben möchte: Ihr wollt das schicke Kleid mit dem V-Ausschnitt tragen, habt aber keine symmetrischen prallen Brüste wie aus dem Lehrbuch? Tragt einfach, was ihr wollt – niemand ist perfekt, aber jeder ist einzigartig. Oder wie ich mal in einem Buch über Bodyshaming gelesen habe: „Wear whatever the F* you like!“. Wenn wir schon beim … Intimwerden sind. Das Vertrauen, euch nackt zu sehen und zu berühren, müssen sich andere erst einmal verdienen. Und ich habe wirklich noch nie von „Hängebrüsten“ als Trennungsgrund in einer jahrelangen Beziehung gehört. Übrigens: Im Englischen nennt man "hängende" Brüste "relaxed breasts". Das klingt doch gleich viel freundlicher und entspannter.
Nachdem ich hier einige Einblicke in meine Erfahrungen mit körperlichen Veränderungen und der Unterwäscheindustrie geschildert habe, bin ich neugierig. Wie "entspannt" seht ihr das eigentlich mit Brustformen und Brustgrößen? Und woran macht ihr fest, ob ihr einen "guten" BH erwischt habt, falls ihr einen tragt?
Liebe Grüße
Eure Cat
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