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Das große Baby-Business

Es geschieht überall auf der Welt und zieht sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte – Kinder, die ihren Herkunftsfamilien und ihrem bekannten Umfeld entrissen werden, weil ihnen woanders ein „besseres Leben“ geboten werden soll. Auch diese Argumentation seitens zweifelhafter Akteure im globalen Adoptionsbusiness hält sich so hartnäckig wie das Phänomen selbst. Keine rosarote Brille kann jedoch dauerhaft verbergen, dass viele Adoptionen dem Tatbestand des Menschenhandels entsprechen.


In meiner Filmkritik zu der biografischen Verfilmung „Philomena“ (2014) konnte ich nur grob auf die realhistorischen Hintergründe hinter den Zwangsadoptionen in irischen „Mother and Baby Homes“ eingehen. All diese gruseligen Details über die Ausbeutung zehntausender Frauen in den „Magdalene Laundries“, krumme Geschäfte des irischen Klerus mit dem irischen Staat sowie weltweiten Adoptionsbehörden und unhaltbare Zustände in sogenannten „Waisenhäusern“ über fast das gesamte 20. Jahrhundert hinweg passen schlicht nicht in einen einzelnen Blogartikel.





Auch diesmal muss ich euch enttäuschen: Auf die Magdalene Laundries werde ich an anderer Stelle noch einmal zurückkommen. Ansonsten käme das Hauptthema, nämlich zweifelhafte und illegale Adoptionen im In—und Ausland, zu kurz. Gerade jetzt, wo seitens des Internationen Kriegsgerichts in Den Haag ein Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Putin eben aufgrund eines ähnlichen Tatverdachts verhängt wurde, brennt das Thema „Zwangsadoptionen“ vermutlich vielen Menschen unter den Nägeln.


„Mother and Baby Homes“- Kinder im Ausverkauf


Doch nach diesem kleinen Exkurs ins aktuelle ukrainische Kriegsgeschehen zurück zum Startpunkt meiner Recherchen, die meinen Fokus überhaupt auf das „Big Baby Business“ (BBB) lenkten. Ausgehend von Philomena Lees Schicksal führte mich die gedankliche Reise zunächst ins irische Tuam, wo 2014 ein anonymes Massengrab auf dem Gelände eines ehemaligen „Mother and Baby Homes“ entdeckt wurde. 796 tote Kinder im Alter von drei Monaten bis neun Jahren – gestorben durch Vernachlässigung, schlechte medizinische Versorgung und physische sowie psychische Misshandlungen durch Nonnen. Alles, während ihre Mütter von einer Zwangsarbeitsstätte in die nächste geschickt und von ihnen – ebenfalls von Nonnen – ferngehalten wurden. Wem läuft hier gerade noch ein kalter Schauer über den Rücken?


In der weiteren Recherche über Dokumentationen und Onlineartikel gaben viele „Überlebende“, sowohl Mütter als auch zwangsinternierte oder zwangsadoptierte Kinder, Einblick in ihre persönliche Hölle auf Erden. „In regelmäßigen Abständen kamen Besucher. Wir mussten uns still auf den Boden setzen, schweigend, Blick nach unten. Die Besucher suchten sich ein Baby oder ein Kind aus, füllten ein paar Papiere aus, bezahlten und nahmen es mit. Manchmal auch mehrere. Das war wie ein riesiger Supermarkt – mit Kindern im Ausverkauf!“ So etwas berichtet beispielsweise ein älterer Mann aus der Gegend rund um Tuam, der nach mehreren Jahren Kinderheim, Pflegefamilien und sogar Namen als Erwachsener neu seine Identität suchen musste. Mindestens 35.000 Kinder wurden zwischen 1922 und 1996 an wohlhabende Adoptiveltern aus Westeuropa und den USA verkauft – und alles nur, weil sie außerhalb des Ehebundes als „Bastarde“ geboren worden waren.


Die Dunkelziffer erzwungener Adoptionen von Kindern „gefallener Frauen“ ist unbekannt und dürfte um einiges höher liegen. Denn, wie es ein Opfer dieser Praxis in einer Dokumentation herausstellt: „Welche Frau gibt bei klarem Verstand ihr Baby her, auf das sie sich gefreut hat und zu dem sie schon eine Beziehung aufgebaut hat?“. Nun spricht natürlich nichts dagegen, sich freiwillig für eine Freigabe zur Adoption zu entscheiden. Allerdings lassen die prekären, feindseligen Umstände für unverheiratete Schwangere im Irland des 20. Jahrhunderts nur wenig Spielraum zu. Von „freiwillig“ kann in den meisten Fällen also keine Rede sein. Im Gegenteil: Schwangere ledige Frauen, die sich der staatlichen Anweisungen widersetzten, sich unter die Obhut der Nonnen zu begeben, wurden denunziert, aufgespürt zwangsweise wie flüchtige Kriminelle hinter die nächstbeste dicke Klostermauer gebracht.




Von Babyfarmen bis Urkundenfälschung


Doch die Welt kommt und kam nicht nur nach Irland, um „Bastarde“ und „verlorene Seelen“ abzugreifen und sie an den Höchstbietenden gewinnbringend zu verkaufen. Auch in (früheren) „Entwicklungsländern“ wie im Libanon, in Brasilien, Guatemala Indien oder Sri Lanka boomte das Geschäft mit den Babys. Und damit alles mit rechten Dingen zuging und die Visa-Papiere gesichert waren, scheuten und scheuen lokale Behörden auch nicht vor restriktiven Klauseln in Adoptionsvereinbarungen und der Fälschung von Geburtsurkunden zurück. Oder eher: Mancher Sachbearbeiter internationaler Adoptionsbehörden war definitiv bereit, bei Ungereimtheiten beide Augen zuzudrücken und sich taub zu stellen.


Die Faktenlage ist zu komplex und teilweise noch nicht ausreichend quantitativ erforscht, um für jedes „Adoptionsparadies“ absolut exakte Zahlen zu nennen. Pro Land spricht man innerhalb mehrerer Jahrzehnte von Zehntausenden Auslandsadoptionen Aufgrund der schwierig einschätzbaren rechtlichen Bedingungen für zahlreiche Zwangsadoptionen lassen sich diese teilweise juristisch auch schwierig von „normalen“, erwünschten Auslandsadoptionen abgrenzen. Eine kurze, beispielhafte Auflistung findet ihr jedoch am Ende dieses Artikels.


Generell lässt sich feststellen: Je schlechter es den Menschen vor Ort geht, desto höher ist die Bereitschaft, Kinder zur Adoption freizugeben. Und je restriktiver sich moralische oder religiöse Normen auf die Situation gebärfähiger Personen auswirken, desto eher fühlen sich diese „unfähig“, Kinder selbst großzuziehen. Oder es gibt gar Sittengesetze dagegen, die zum Beispiel alleinerziehende Mütter in finanziellen Schwierigkeiten als „Gesetzesbrecherinnen“, „Gefahr für die Gesellschaft“ oder „asozial“ kriminalisieren. Auch gelten in streng religiösen Gesellschaften auch heute noch uneheliche Kinder teilweise als „unrechtmäßig geboren“. Wer sich und sein Kind also vor Armut, Schmähung und politischer Verfolgung schützen will (oder muss), mag das Weggeben des Kindes in ein „besseres Leben“ also für den nächsten logischen Schritt halten.




Wohlhabende kinderlose Paare und Adoptionsvermittler profitieren demnach bewusst oder unbewusst von der Not und psychischen Bedrängnis derjenigen, die aus unterschiedlichen Gründen zur Adoptionsfreigabe gezwungen werden. Aus einer vermeintlichen „Win-win-win“-Situation wird damit eine „Win –Lose-Lose“-Konstellation. Denn kaum eine Mutter gibt ihre Kinder gerne für immer ab. Weiterhin leiden Kinder, die aus solchen Zwangslagen heraus adoptiert wurden, unter ihrer „Entwurzelung“ und dem Übertritt in eine ganz andere Lebensumgebung. Eine Lebensreise, die sie nie selbst wählen konnten oder durften. Dass sie im Aktendschungel der Adoptionsbehörden, Auslandsbotschaften und Archive häufig über so prekäre Details wie gefälschte Geburts- und Adoptionsurkunden sowie Verschwiegenheitsklauseln stolpern, legt ihnen auf der Suche nach ihren Wurzeln weitere Fallstricke in den Weg.


Kinderraub und Menschenhandel als Machtdemonstration


So schockierend einige Erkenntnisse während dieser Hintergrundrecherche für mich waren, umso mehr muss man sich vor Augen halten, dass diese Tatsachen keinesfalls neu sind. Überall, wo es um Macht und Geld geht und zum Beispiel die Bevölkerung eines kolonisierten Landes als ökonomische Ressource und als Druckmittel gegen die politische Konkurrenz betrachtet wurde, war Menschenhandel bereits seit Jahrtausenden an der Tagesordnung. Massengräber, die Verschleppung von Frauen und Kindern, Trennung von Familienverbünden, Zwangsarbeit – seit Jahrtausenden oft nicht nur „salonfähig“ und gesellschaftlich anerkannt, sondern sogar durch Gesetze gedeckt. Hier in Deutschland zuletzt übrigens durch den sogenannten „Asozialenparagraphen“ §249 des Strafgesetzbuches der DDR. Zumindest, was Zwangsarbeit, Inhaftierung und erzwungene Adoptionen betrifft.




Eine machthabende Regierung oder Institution will damit zeigen: WIR bestimmen, wohin die Reise geht und DU kommst mit oder wirst als Störenfried aus dem Weg geräumt. Eine grausliche Gesinnung, gemessen am möglichen Bildungsgrad und gesellschaftlichen Fortschritt unserer Zeit. Kinder stellen für die Akteure solch perfider Systeme natürlich einen besonderen Nutzwert dar. Denn tatsächlich sind Kinder immer die Zukunft einer Gesellschaft, zunächst „unbeschriebene Blätter“, auf denen sich im Lauf der Zeit Werte, Normen und Eigenschaften verewigen. Und wer die Macht über die Zukunft in den Händen halten will, manipuliert exakt diese jungen „Zukunftsträger“, um sie im Sinne der eigenen Interessen zu prägen.


Auch das klingt gruselig in einer Zeit, in der Kindererziehung immer mehr vom „bedingungslosen Gehorsam“ abrückt und sich zunehmend auf die Eigenständigkeit und Bedürfnisse junger Menschen fokussiert. Aber gerade während bewaffneter und ideologischer Konflikte werden gerade Kinder immer noch häufig zum Spielball unterschiedlicher Interessen – sie können sich schließlich schlecht wehren. Diese Taktik gab es im Römischen Reich- und es gibt sie in manchen Teilen der Welt noch heute. Oder möchte mir ernsthaft jemand erzählen, dass Kinder gern ihre Familien verlassen, um unter Strafe und Drill zu lernen, wie man andere Menschen erschießt?


Zwangsadoptionen im In- und Ausland: Zahlen, bitte!


Vor einigen Überlegungen zu fairen, transparenten Adoptionen gibt es an dieser Stelle noch einen kurzen Überblick über weltweite Zahlen. Wichtig zu wissen: Diese Zahlen verändern sich stetig und man kann mit einer erheblichen Dunkelziffer rechnen. Auch ist diese Aufstellung natürlich nur eine grobe Zusammenfassung meiner Recherchen und dient als Impuls für diejenigen, die sich selbst mit dem Thema weiter befassen wollen.

Anschnallen, bitte … Die „Baby Business World Tour“ beginnt!


  • Deutsche Demokratische Republik (DDR): mindestens 700 Zwangsadoptionen in „linientreue“ Familien von 1962 bis zum Mauerfall 1990;

  • Bundesrepublik Deutschland: mehrere Tausend Trennungen von unverheirateten Müttern und ihren Babys;

  • Irland: mindestens 35.000 Auslandsadoptionen ohne Einverständnis der Mütter, geschätzt insgesamt 100.000 bis 150.000 Zwangsadoptionen insgesamt zwischen 1922 und 1996;

  • Großbritannien: rund 500.000 Zwangsadoptionen zwischen 1965 und 1979, initiiert durch staatliche und kirchliche Akteure;

  • Spanien: gleiche Akteure – ähnlicher Zeitraum, bekannt sind 300.000 erzwungene Trennungen von Müttern und ihren Babys;

  • Sri Lanka: mindestens 11.000 Auslandsadoptionen in den 1980er Jahren unter fragwürdigen Bedingungen, oft mit gefälschten Urkunden;

  • Libanon: mindestens 13.000 Auslandsadoptionen unter fragwürdigen Bedingungen zwischen 1975 und 1990, Adoptiveltern sogar oft als leibliche Eltern angegeben;

  • USA und Australien: Hier wurden im 19.und 20. Jahrhundert nicht nur eine gewisse Anzahl indigener und „mixed-race“- Kinder ihren Gemeinschaften entrissen, sondern ganze Generationen von Kindern in einem nicht-indigenen Umfeld aufgezogen und zwangsassimiliert;

  • Rumänien, Bulgarien, Indien, Portugal, Guatemala, Brasilien, afrikanische Staaten … die Liste würde hier einfach zu lang!


Klapp. Schließen wir dieses dunkle Kapitel für einen Moment – aber mit Lesezeichen zum Erinnern – und atmen wir ein paarmal tief durch. Alle Fälle, in denen Kinder unrechtmäßig oder unter zweifelhaften Umständen aus ihren Familien bisher weltweit entfernt wurden, sind schlicht zahlenmäßig nur für eine ganze Gruppe Statistiker erfassbar. Vorausgesetzt, diese kommen überhaupt an die notwendigen Dokumente heran. Ohnehin sind menschliches Leid und seelische Schäden durch Zwangsadoptionen nicht in Zahlen erfassbar. Denn hinter jedem Fall stehen mindestens zwei Menschen, deren Lebenswege einen tiefen Einschnitt erfahren haben.




Adoption – nicht immer eine schlechte Wahl!


Sind Adoptionen durch kirchliche und staatliche Institutionen nun generell Teufelswerk? Nein, natürlich nicht, wenn sie unter fairen, transparenten, nicht-kommerziellen und wirklich notwendigen Bedingungen stattfinden.


  • Fairness: Die Mutter und die Familie des Adoptivkindes entscheiden sich für eine Adoption, zum Beispiel als Alternative zum Schwangerschaftsabbruch, ohne fremde Beeinflussung. Die Familie ist also von sich aus, ohne dass auf sie Druck ausgeübt wird, überzeugt von der Adoption.

  • Transparenz: Alle Parteien – also Herkunftsfamilie, Adoptivkind(er) und Pflegefamilie – kennen die Identität der jeweils anderen Parteien. Sie gehen offen miteinander um. Adoptivkinder und auch ihre Eltern haben das Recht und werden dazu ermutigt, zueinander Kontakt aufzunehmen und offene Fragen zu klären. Es gibt keine unnötigen bürokratischen Hürden und einfache, standardisierte Abläufe, um sich seiner biologischen Herkunft oder des Verbleibs eines Kindes zu vergewissern.

  • Kindeswohl statt Profit: Natürlich verursacht eine Adoption Kosten für die Behörden, aber auch für potenzielle Pflegeeltern. Trotzdem muss bei jeder Adoption ein nicht-kommerzieller Zweck, also das Kindeswohl, im Vordergrund stehen. Kinder sind keine Ware!

  • Notwendigkeit: Generell sollten vor einer Adoption erst einmal alle Möglichkeiten geprüft werden, bei denen keine endgültige Trennung des Kindes von seiner Herkunftsfamilie stattfindet. Denn, wie die Bindungsforschung wenig überraschend feststellte: Menschen suchen ihren Ursprung und sind gerade in den ersten Lebensjahren stark auf feste, verlässliche Bindungen angewiesen. Notwendig wird eine Adoption vor allem dann, wenn das Kindeswohl in der Herkunftsfamilie massiv gefährdet ist und auch keine anderen Maßnahmen helfen. Die Tatsache, dass eine Mutter zum Beispiel unverheiratet ist und so „in Schande“ lebt, ist aber heutzutage keinesfalls mehr ein Grund dafür!

Unter diesen Umständen – unter der Berücksichtigung des Haager Adoptionsübereinkommens – können auch Auslandsadoptionen den Zweck erfüllen, den Adoptiveltern eigentlich anstreben: Kindern einen erfüllten, glücklichen Start ins Leben schenken!

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