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„Gentlemen only - Ladies only”?

In jedem Laden oder Kaufhaus gibt es nützliche Wegweiser, die Kunden in die für sie passende Abteilung lotsen. Damen rechts, Herren links, Kinder bitte noch ein Stockwerk nach oben. Mädchen rechts, Jungen links natürlich. So hilfreich eine klare Navigation beim Einkaufen von Kleidung und Accessoires auch ist – sie steckt Menschen oft ungewollt in Schubladen. Ein Gedankenspiel mit Alternativen.





Die Kundengruppe der nicht-binären Personen wird immer bedeutsamer, Eltern vermeiden bewusst die berüchtigte „Blau vs. Pink“-Falle, soweit sie es können. Und die großen Modeketten? Scheinen viele gesellschaftliche Entwicklungen verschlafen zu haben. Dabei bräuchte es bei der zunehmenden Marktmacht des Onlinehandels dringend neuartige Store-Konzepte, um den stationären Handel und damit die Innenstädte wieder in den Fokus zu rücken.


Herrenabteilung vs. Damenabteilung?


Nun muss wirklich niemand darüber streiten, ob Frauen (auch trans-operierte) biologisch betrachtet Brüste haben und Männer (trans-operiert oder von Geburt an) einen Penis. Menschen, die rein biologisch keinem Geschlecht angehören (gewählt oder angeboren) gibt es vergleichsweise selten. Aber da „sex“ (biologisches Geschlecht) und „gender“ (sozial-emotionales Geschlechterverständnis) nicht zwingend identisch sind, sorgt eine strikt binäre Einteilung vieler Alltagsbereiche in „Mann“ und „Frau“ beizeiten doch für Verwirrung. Dies gilt auch für den stationären Bekleidungshandel.


Um zu wissen, wie es sich zum Beispiel für einen transsexuellen Mann anfühlt, als männlicher Kunde in der Damenabteilung Röcke anzuprobieren, müsste ich eine Umfrage starten. Leider habe ich gerade niemanden in meinem Umfeld, den ich fragen könnte – deswegen nehme ich mir nun kein Urteil über mir fremde Gefühlsweiten heraus. Ich bin nämlich tatsächlich eine voll binäre Frau, die nie das Bedürfnis nach einem biologisch männlichen Körper verspürt hat. Ich kann nur vermuten, dass Männer, die Miniröcke anprobieren, in der Damenabteilung womöglich ziemlich argwöhnisch beäugt werden und sich entsprechend unwohl fühlen könnten.



Wer hat hier die Hosen an?


Das Beispiel mit den Röcken ist mode- und kulturgeschichtlich dabei im Grunde aufschlussreich. Denn Mode spiegelt Kultur wider. In der Antike war es total normal, dass alle Menschen lange Gewänder trugen. Teilweise mit Pluderhosen darunter, später mit Miedern, aber das sah in der Öffentlichkeit niemand. Auch in der Bibel trug noch niemand Hosen. Männer in Wüstenstaaten tragen noch heute lange Gewänder bei öffentlichen Auftritten. In früheren Zeiten war die Entscheidung für lange Röcke und Mäntel rein pragmatisch – jeder Mensch braucht eben Sonnenschutz. Im europäischen Raum gehört zum Beispiel zur schottischen Bekleidungstradition auch immer noch ein Kilt, so gesehen ein aufwendiger Wickelrock. Nicht für Frauen, sondern für Männer.


Kurioserweise kristallisierte sich gerade seit Beginn der Neuzeit ein Machtgefüge heraus, welches sich auch in Kleidung ausdrückte. Männer, zuständig für Kriege, Politik, Erfindungen, „kopflastige“ und körperlich schwere Arbeiten und Finanzen, hatten in der Gesellschaft und zu Hause „die Hosen an“- also das letzte Wort. Frauen hingegen betonten ihre körperlichen Reize mehr oder weniger, trugen weiterhin Röcke und teilweise dekorative, aber extrem unbequeme und unpraktische Kleider. Sie wurden einmal mehr zum „schönen, aber schwachen Geschlecht“ ernannt.


Die (früher sehr umfangreichen) Aufgaben der Hausfrau: Kinder bekommen, Kinder aufziehen, Verwandte pflegen, das eigene Heim im „Inneren“ organisieren, die Familie z.B. mit Essen und sauberer Kleidung versorgen, Arbeit auf den eigenen Feldern, moralisches Vorbild, Herz und „Aushängeschild“ der Familie sein. Viele Berufe außerhalb des eigenen Heims, vor allem einflussreiche Rollen und Positionen in Justiz, Politik, Wissenschaft und Medizin, blieben denen, die „nicht die Hosen anhatten“, oft vorbehalten. Wenn man so will, ist das demonstrative Tragen von Hosen von Frauen im 20. Jahrhundert damit auch ein politisches Statement. So, als wollten sie sagen: „Es wird endlich Zeit für eine neue Gesellschaftsordnung!“.



Alte Muster aus neuen Stoffen


Ein möglicher Schluss aus der modegeschichtlichen Perspektive könnte so klingen… „Na, heute tragen die meisten Frauen eh nur noch Hosen, da können wir das Thema Geschlechterklischees in der Mode ja endlich abhaken!“. (Und am besten in allen anderen Lebensbereichen auch, dieser ganze feministische Bullshit und das dauernde Gejammer auf hohem Niveau NERVEN nämlich. Jawohl, schaut doch mal in Länder, wo Frauen, Schwule, Lesben und Transsexuelle WIRKLICH keine Rechte als Menschen und Bürger holen. Das sind die richtigen Baustellen für euren Aktivismus!)


Ganz so einfach ist es nun auch wieder nicht. Ich schreibe hier aus der Perspektive einer klar binären Frau, die sich dennoch in vielen Mode- und Schuhläden nicht als Kundin wahrgenommen vorkommt. Das kommt vor, wenn man nicht in den durchschnittlichen Größenstandard passt. BHs mit E-Körbchen bestelle ich also in vorauseilendem Gehorsam oft schon online. Ebenso Schuhe, wenn es denn „feminine“ Modelle sein sollen. Da ich bei alledem auch noch groß (1,80 m) und etwas breiter gebaut bin und Schuhgröße 44/45 trage, bleibt beim stationären Einkauf oft nur die „falsche Abbiegung“ in die Männerabteilung.


Da passen mir die Sneakers und flachen Schuhe, ohne dass ich lange nach meiner Größe suchen muss. Hoodies, Sweatshirts und einfache T-Shirts sind in ausreichender Menge vorrätig und vor allem lang genug, um mir bequem bis über den Po zu reichen. Jogginghosen sind Jogginghosen, lang, weit geschnitten und gemütlich, ohne wie eine zweite Haut aus Polyester am Körper zu kleben. Es mag viele Frauen und Männer da draußen geben, die gern ausschließlich körperbetonte Kleidung tragen- Das ist – bei jeder Größe und Statur- total in Ordnung. Ich persönlich ticke aber im Alltag eher wie der „Durchschnittskumpel“: Komfort vor Sexyness, was auch immer man darunter versteht.



Das war übrigens nicht immer so. In meinen Zwanzigern war ich mal „Girly“ mit einem verspielten Stil, mal „Lady“ mit eleganter wirkender Kleidung und hin und wieder auch „Miss Flirty“ mit größeren Ausschnitten, viel Glitzer und Knallfarben und regelmäßigem Aufbrezeln vor Disconächten. Heels waren für mich oft Pflicht, gerade beim Ausgehen. Selbst dann, wenn ich den Cinderellapartoffel auf der Toilette doch heimlich gegen die bequemen Ballerinas eintauschen musste.


Bei den Damen finde ich die Größenauswahl beizeiten schwierig, die Materialmischungen für einen körpernahen Sitz unangenehm auf der Haut und viele Schnitte einfach zu knapp oder schlicht zu kurz. Nur eines vermisse ich in der Herrenabteilung bei den Basics deutlich: Mut zur Farbe! Was mich dann doch dazu bewegt, nicht nur für Jeanshosen mit Stretchanteil öfter in „heimischen Gewässern“ zu fischen. Ach ja, liebe Modehersteller … Ich weiß, dass das „aufträgt“, aber bitte berücksichtigt bei Damenhosen auch einmal die praktische Seite und baut mehr Hosentaschen ein.


Geschlechtsbestimmung beginnt im Mutterleib!


Ja, ist doch logisch, wird man einwenden. Schließlich wird dort die Anzahl von X- und Y-Chromosomen festgelegt. Vom biologischen Standpunkt aus sicher. Es bringt mich aber immer wieder zum Schmunzeln, dass bei vielen Eltern nach der ersten Geschlechtsbestimmung eines Fötus der „Blau vs. Pink“-Automatismus anspringt. Tatsächlich hatten wir einen Fall im Freundeskreis, in dem Mama und Papa in spe ursprünglich ein Mädchen erwarteten und erst kurz vor der Geburt erfuhren, dass es doch ein Junge wird. „Na, gut dass du bei der Kleidung, die du uns gegeben hast, schon vorsortiert hast, scherzte meine Freundin einmal am Telefon. „Die rosa Sachen brauchen wir dann wohl nicht mehr. Ich gebe sie weiter – jemand aus meinem Freundeskreis bekommt ein Mädchen.“ Ich traute mich erst gar nicht zu fragen, fragte dann aber doch: „Ihr habt aber noch nicht das Babyzimmer rosa gestrichen, oder?“. Sie seufzte einmal und lachte. „Nein, zum Glück nicht. Sonst hätten wir die ganze Arbeit noch einmal.“



Ich konnte bei „Blau vs. Pink“ und „Kätzchen vs. Auto“ noch nie mitreden. Meine Mädchen können jederzeit auch „Jungensachen“ tragen, wenn sie es denn wollen. Feechen ist ein totales „Girly-Girl“ und passt perfekt in die Genderschublade. Aber von mir hat sie das nicht. Bei Kobold wird es sich zeigen, ob sie eher „Team Glitzer“ oder „Team Monstertruck“ wird. Schließlich ist sie erst zwei Jahre alt. In den Modehäusern unseres Landes herrscht jedenfalls nach wie vor strikte Geschlechtertrennung. Was vielleicht einkaufenden Eltern zur Orientierung dienen soll, prägt durch die Auswahl von Farben, Kleidungsstücken und Motiven natürlich auch die Wahrnehmung von Kindern über „männliche“ und „weibliche“ Stile und Eigenschaften.


Alternativen zu „Damen-Herren-Mädchen-Jungen“


Da Wegweiser und unterschiedliche Abteilung aber der Übersicht und Organisation eines Ladengeschäfts dienen, wie ließe sich Einteilung in vollständig binäre Kategorien vermeiden? Und das, ohne Chaos und irritierte Kundinnen und Kunden zu hinterlassen? Ein paar unqualifizierte Ideen hätte ich da schon – wenngleich die großen Modeketten sich dafür bestimmt nicht interessieren. Ein Gedankenspiel über nicht geschlechtsgebundene Kategorien, in die man Mode einsortieren kann.


Artikelbezeichnungen


Die meisten Menschen, die losgehen, um Kleidung zu kaufen, tun dies nicht ohne Plan. Als kleinsten gemeinsamen Nenner haben sie in der Regel eine Sache, die sie bereits wissen- welche Art von Kleidungsstück sie brauchen. Wie wäre es also mit einer Abteilung nur für Jeans in unterschiedlichen Stilen und Größen? Hilfreich für eine genauere Übersicht könnten dabei auch Unterbegriffe, z.B. „Skinny Jeans“, „Jeansshorts“ und „Flared Jeans“ sein.



Bekleidungsstile und Anlässe


Je älter der Mensch wird, desto besser kennt er sich selbst, seinen Körper und die Kleidung, die ihm gefällt und idealerweise auch gut steht. Abhängig von Persönlichkeit und Anlässen suchen Kundinnen und Kunden gezielt nach bestimmten Kleidungsstilen, egal, welches Geschlecht sie haben. Ein Messeauftritt steht an? Dann fällt die Wahl wahrscheinlich auf „Business Casual“- schlicht, bequem, aber doch elegant. Es wird Hochzeit gefeiert? Abendgarderobe muss her! Die Kunden haben keinen Dresscode und wollen ganz locker durch den Alltag kommen? „Casual“ heißt das Stichwort – mit Jeans oder schlichten Stoffhosen, T-Shirts, Sweatshirts und Cardigans.


Jahreszeiten und Wetter


Das Wetter bestimmt, wie wir uns kleiden. Wie praktisch, wenn man im Geschäft sofort mit Wettersymbolen auf die passenden Produkte aufmerksam gemacht wird! Um es einmal am Beispiel von Schuhen zu erläutern, könnten hier Kategorien wie „Sommer“, „Übergang“, „Winter“ und “regenfest“ eine Rolle spielen.


Erwachsene, Kinder, Jugendliche


Da die Größenbezeichnungen sich bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen deutlich unterscheiden, ist hier tatsächlich eine Trennung dieser Altersgruppen sinnvoll. Man muss dabei nicht zwingend nach Geschlecht unterscheiden. In einer Themenabteilung für Erwachsene bietet es sich aber dennoch an, die Kleidungsstücke mit Herren- und/oder Damengrößen zu kennzeichnen.



Farben und Muster


Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien ihr euren Kleiderschrank ordnet. Aber mein System richtet sich nach exakt drei Kriterien: Kleidungsstücke und Zweck (WAS ist es und wofür brauche ich es?), Anlass (Kleidung für seriöse Anlässe hängt auf dem Bügel) und Farben (z.B. Rottöne, Grün- und Blautöne, Weiß/Hellgrau/Gelb, Schwarz/Dunkelgrau …). Besonders die Ordnung nach Farben macht es mir leicht, ein halbwegs stimmiges Outfit zusammenzustellen. Eine weitere Ordnungsmöglichkeit besteht darin, ähnliche Muster gemeinsam zu präsentieren. Wenn sollte dies in einem „gigantischen Kleiderschrank“ wie einem Modeladen mit „Themeninseln“ nicht funktionieren?


Lieblingsmarken


Manchen Kunden sind Marken wichtig – sie haben ihre Lieblingslabels und suchen gezielt danach. Einfach, weil sie diese als besonders hochwertig oder zum eigenen Körper und Stil passend empfinden. De facto haben die meisten Menschen bei Outfits sogenannte „Safe Choices“, also Farbkombinationen, Marken und Schnitte, die immer funktionieren.


Größen und Maße


Wenn wir Kleidung kaufen, muss sie vor allem erst einmal passen. Daher kann es sinnvoll sein, Kleidung schlicht nach einem festen System nach Größen zu ordnen, auch kombiniert mit anderen geschlechtsneutralen Kategorien. Eine möglichst übersichtliche Anordnung, am besten ohne eine ausgewiesene „XXL“-, „Kingsize/Queensize“- oder „Große-Größen/Übergrößen-Abteilung“ schließt alle Kundinnen und Kundinnen jeglichen Geschlechts mit ein. Diese werden so auch nicht gleich in die Schubladen „Mann“ und „Frau“ gesteckt und können unvoreingenommen nach eigenen Präferenzen stöbern, anprobieren und kombinieren.



Mir ist beim Schreiben dieses Artikels natürlich bewusst, dass es in naher Zukunft keine Modeläden und Kaufhäuser ohne „Gentlemen only“, „XXL- Ghettos“ und „Ladies only“ geben wird. Auch keine komplett gemischte Kinder- und Jugendabteilung. Dafür hat sich das klassische binäre System einfach schon zu lange etabliert. Bis sich im Modesektor in Sachen Genderneutralität etwas tut, werde ICH tun, was ich schon immer getan habe. Nämlich in regelmäßigen Abständen „falsch“ in Richtung Herrenabteilung abbiegen.


Last and least interessiert mich eure Meinung. Was ist euch beim Einkaufen wichtig und nach welchen der genannten Kategorien wählt ihr im Laden Kleidung aus? Wie sieht der Fashion-Store der Zukunft für euch aus und was ist für euch ein absolutes No-Go?


Herzliche Modegrüße

Eure Cat


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