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Pop(p)kultur: Erspart mir die Details!

Ob im TV, in Social Media oder durch Lyrics in Popsongs – dauernd muss irgendjemand sein Sexleben öffentlich breittreten. Nicht, dass ich Sexualität gegenüber grundsätzlich negativ gegenüberstehe. Jeder erwachsene Mensch mit einer gewissen Lebenserfahrung weiß, wie „das“ geht, dass es Spielregeln dafür gibt und dass nicht der Storch die Babys bringt. Also etwas ganz Banales, Alltägliches, evolutionär Gewolltes. Aber MUSS man wirklich so viel darüber reden und singen? Gibt es nicht wichtigere, drängendere Themen auf der Welt?


Jede Autofahrt mit Radio an ist für mich ein Audioporno. Innerhalb von 20 bis 30 Minuten, während ich morgens meine Kinder zur Schule und zur Kita bringe, haben mir mindestens vier Künstlerinnen und Künstler in ihren Songs etwas über Sex erzählt … Beginnend mit Bruno Mars: „I just had sex, and it felt so good ….”- ja nun, und warum sollte mich das als Hörerin interessieren? Dann „The Weekend“ mit: „I feel it coming, I feel it coming Babe …” – na dann bring deine Freundin halt zum Höhepunkt, aber erspar mir die Details. Dua Lipa findet anscheinend heimliche Fingerspiele und „Dirty Dancing“ auf der Tanzfläche toll: „You got your hand in my jeans, tell me to open the dean …”. TMI- too much information. Zuletzt deutet Rihanna an, dass sie Sado-Maso-Spiele aufregend findet: „SSSS-MMM…“. Sorry, aber muss ich das wissen? Wenn mir gleich noch FloRida mit „Whistle“ was vom Tuten und Blasen erzählen will, raste ich aus und schmeiße das Radio aus dem Autofenster. Echt jetzt.


Zum Glück kommen nun erst einmal Werbung und Nachrichten. Und ich bin echt dankbar, dass meine Mädchen noch kein Englisch können, ansonsten würden sie mir wahrscheinlich nun viele seltsame Fragen stellen. Zum Glück summt Feechen nur die Melodien aus dem Radio und Kobold klatscht immer zum Rhythmus. Ich mag auch Musik, bereue es aber in diesen Momenten zutiefst, Englisch bis zu einem Near-Native-Level studiert zu haben. Man KANN dann diese ganzen Anzüglichkeiten in den Songtexten nicht überhören, wenn man sowieso jedes Wort davon versteht. Selbst dann nicht, wenn man es wollte. Ein Dilemma für jeden, der einfach gern im Radio Musik hört. Wenn es mir absolut zu viel wird, flüchte ich innerlich in Musikwelten mit weniger Sex. Zum Beispiel kommt mir … dieser Song sehr oft in den Sinn.





Einmal sexfreie Zone, bitte!


Zu Hause habe ich meinen Laptop mit Youtube und Onlineradio- eine große Erleichterung, wenn ich bestimmte Dinge einfach nicht hören will. Sich eine multimediale „sexfreie Schutzzone“ einzurichten, ist aber gar nicht so einfach. Beim Fernsehen ist das kein Problem – wir haben einfach keinen aktiven Kabel- oder Satellitenanschluss. Also bleiben mir „Hirnlos-Rummachen-Formate“ wie „Der Bachelor“, „Adam und Eva- nackt im Paradies“ oder „Make Love, Fake Love“ erspart. In Social Media hat es sich aber als Krampf erwiesen, Werbungen, Timeline-Inhalten und Videos mit deutlich sexuellen Anspielungen konsequent auszuweichen. Vielleicht würde ich Social Media einfach seinlassen, wäre nicht mein gesamter Freundeskreis auf Facebook unterwegs und wäre ich nicht für den Blog auf Instagram angewiesen.


Ich mache mir aber keine Illusionen mehr – sexuell konnotierte Inhalte sind in unserer Popkultur inzwischen zu tief verankert. Hier eine Frau, die provokativ ihren Hintern in die Kamera hält, dort ein „Sexy“-GIF im Messenger. Und nebenbei immer wieder Verführungstipps von irgendwelchen Coaches, Sextipps in Frauenzeitschriften und News-Meldungen über so „weltbewegende“ Dinge wie das vielbeschworene „Orgasm Gap“. Welches übrigens auch Lily Allen treffend besingt (das Lied hat sogar etwas herrlich Ironisches und ist nicht zu platt). Eine Eintrittskarte für die Welt der großen Influencer habe ich übrigens nicht und das ist mir auch ganz recht so. Schließlich habe ich ein eigenes Leben und damit genug zu tun. Da kann einem das Privat- und Sexualleben fremder „Internetpromis“ herzlich egal sein.




Pop(p)kultur – ein Spiegel unserer Gesellschaft


Was ich aber sehr spannend finde ist die Suche nach Antworten, was eine solche Poppkultur über uns als Gesellschaft aussagt. Es handelt sich keinesfalls um einen Tippfehler. Unter Popkultur (oder fachlicher gesagt: populärer Kultur) versteht man aus kulturwissenschaftlicher Perspektive eine Mehrheits- und Massenkultur. Also das ,was man etwas salopp als „Mainstream“ bezeichnet. Es handelt sich um die Werte und Normen, die den Zeitgeist bestimmen, ausgedrückt in unterschiedlichen Kunstformen und Medienerscheinungen. Dass wir eine sehr sexgesteuerte „Poppkultur“ haben, beinhaltet sowohl positive und negative Aspekte.


Meinungsfreiheit muss sein!


Meine Filmkritik zu „Philomena“ und der passende Hintergrundartikel zu Zwangsadoptionen zeichnen zum Beispiel ein erschreckendes Bild davon, was passiert, wenn (weibliche) Sexualität als abnorm und moralisch verwerflich gilt. Menschen, die Sexualität im religiösen und machtpolitischen Sinn komplett „verteufeln“, sind dann auch bereit, anderen Menschen schwerwiegende Dinge anzutun.


Übrigens braucht man gar nicht so weit in die Vergangenheit zu gehen, um die zerstörerischen Effekte einer allzu strengen „Sittenpolitik“ zu erkennen. Ein Blick in die aktuellen Nachrichtenfeeds genügt. Systematische Unterdrückung von Frauen und Mädchen im Iran durch die Taliban, illegale Zwangsbeschneidungen von Mädchen in Afrika, Todesstrafe durch Steinigung oder Peitschenhiebe wegen Ehebruchs in einigen Regionen der Erde, junge Menschen, die LGBTQ-Aktivisten auf dem CSD erschießen …. Ich lasse es an dieser Stelle damit bewenden, sonst werde ich nie fertig. Also, über Sex, Verhütung, Lust, Sexarbeit und Schwangerschaftsabbrüche zu sprechen ist generell richtig und wichtig. Nun kommt das große „Aber“.





Oversharing: What the F*ck?!


Passend zum sehr rigiden Umgang mit Sexualität in stark autoritär und religiös geprägten Gemeinschaften gibt es natürlich auch das andere Extrem. Nämlich den Umgang mit Sex, den wir jetzt in den „freiheitlichen“ westlichen Gesellschaften pflegen. Der englische Ausdruck „oversexed but underfucked“ trifft es im Grunde präzise auf den Punkt. Wir sind ständig sexuellen Reizen und Andeutungen in den meisten Lebensbereichen ausgesetzt- Posen und Mimik in Dessous-Werbungen: eindeutig. Viele Werbesprüche für eigentlich nicht sexgebundene Produkte: eindeutig zweideutig. Ein großer Teil aller Reels, Storys und Posts auf alltäglichen Social-Media-Plattformen: darauf bedacht, sich selbst als sexuell anziehend darzustellen. Diverse Lyrics von Pop(p)songs … na, das hatten wir ja schon.


Das Tragische an dieser Parallelwelt voller heißer Versprechungen und Beautyfilter ist, dass Menschen sich darin verlieren und „reale“ Sexualität sowie „echte Körper“ nicht mehr schätzen. Sex und Attraktivität sind zu einer austauschbaren „Ware“ geworden, so selbstverständlich wie der Einkauf im Supermarkt oder in einem beliebigen Onlineshop. Das vielleicht beste Beispiel dafür: die „Swipe and go“-Mentalität auf Dating-Apps wie Tinder. Diesen Drang, Intimes überall zu teilen und wirklich alles ungefragt von sich preiszugeben, nennt man auch “Oversharing“ und er betrifft nicht nur sexuelle Themen. „Oversharing“ und die Dauerberieselung mit Sex-Signalen bewirken auf Dauer eine Abstumpfung derer, die diese Signalfrequenz einfach nicht verarbeiten können. Ergo: Das Thema „Sex“ verkauft sich zwar gut, nervt und langweilt allerdings auch.





„Let’s talk about sex!“- aber wie und wie oft?


In einer Gesellschaft voller (vor allem junger) Menschen, die ihren eigenen sexuellen Fingerabdruck verlieren oder gar nicht erst finden, sind mehr Fingerspitzengefühl und Tiefgang im Gespräch über „sexuelle Gesundheit“, „Körperbilder“ und „sexuelle Erwartungen und Grenzen“ gefragt. Und ein sinnvoller Weg im Umgang mit den eigenen Bedürfnissen und Erwartungen liegt immer zwischen den Extremen „Tabu“ und „allzeit bereit“. Konkret bedeutet die Idee des Mittelwegs folgendes:


  • Der „echte“ Körper eines Menschen ist in Ordnung. Niemand muss sich anziehen, präsentieren und verhalten wie ein Pornostar.

  • Es ist super, einen Orgasmus zu haben, aber nicht unbedingt notwendig für das eigene sexuelle Wohlbefinden.

  • Man muss nicht immer „können“, „heiß sein“ und „Bock haben“. Auch lustlose Phasen sind total normal.

  • Viele perfekte Körperdarstellungen verdanken ihre Perfektion einer ausgefeilten Bildbearbeitung. Die „echten“ Models, Influencer und Social-Media-Nutzer sind gar nicht so makellos.

  • Und wenn doch: Makellos ist doch auch irgendwie auf Dauer austauschbar und langweilig, oder?

  • Es ist in Ordnung, spezielle sexuelle Vorlieben zu haben, aber ebenso normal, über bestimmte Neigungen eben nicht zu verfügen.

  • Man muss nicht allen Ratschlägen folgen, die man hört oder liest. Frei nach Farin Urlaub: „Es ist egal, was du bist, Hauptsache ist, es macht dich glücklich“. Und idealerweise dein Gegenüber auch. Kommunikation über sexuelle Themen ist auf allen Ebenen der Gesellschaft wichtig. Ständiges Oversharing überfordert auf Dauer aber nicht nur einen selbst, sondern auch Freunde und Follower in sozialen Netzwerken.

  • Stars und Sternchen verdienen eine Menge Geld damit, ihr Intimleben vor der Öffentlichkeit auszubreiten. Ihr habt andere Einnahmequellen, die das unnötig machen? Super, diese sind in jedem Fall verlässlicher als jeder Sex- Skandal!

  • „Rumfummel-Formate“ mit Beziehungsdramen im TV kann man sich wohldosiert anschauen, ohne einen sofortigen Hirntod zu erleiden. Man MUSS es aber auch nicht. Und wenn ihr es gern als „Urlaub für die grauen Zellen“ nutzt, denkt daran, dass vieles immer noch nach Skript verläuft.





Mein persönliches Fazit: Sex ist normal. Lust und Anziehung sind normal und man muss auch kein Blatt vor den Mund nehmen. Allerdings nimmt die Dauerbeschallung auf allen medialen Kanälen zurzeit schon seltsame Züge an und killt jede Erwartung und Spannung. Es lohnt sich demnach, sich beizeiten auch anderen Themen zuzuwenden. Denn der Mensch ist mehr als sein Körper, mehr als sein Aussehen und seine Libido. Und echte Ladys und Gentlemen genießen und schweigen beizeiten.


Wie offen geht ihr persönlich mit sexuellen Themen um und was verunsichert euch dabei? Fühlt ihr euch auch manchmal „oversexed“ oder nehmt ihr diese Dauerbeschallung gar nicht (mehr) bewusst wahr? Mit wem teilt ihr „intime Einblicke“ überhaupt, ohne euch dabei unwohl zu fühlen?


Ich bin echt gespannt auf eure Meinungen zu diesem etwas „schlüpfrigen“ Thema.


Viele Grüße, Eure Cat




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